Die Heesfelder Mühle in Halver bietet für Ralf Köhler und sein Team eine optimale Location: Mehrere historische Gebäude, große Wiesen zum Zelten und große, angrenzende Waldflächen, in denen wenig Leute unterwegs sind. Ralf Köhler ist Organisator des LARP-Eventes. LARP steht für Live Action Role Play, im Deutschen häufig als „Liverollenspiel“ übersetzt. Köhlers Aufgaben sind vielfältig, im Vorfeld schreibt er unter anderem eine Art Drehbuch, kümmert sich um die Location und bastelt allerhand benötigtes Material. Während der viertägigen Veranstaltung selbst ist er am ehesten Regisseur. Heute unterstütze ich ihn als Nichtspieler-Charakter, kurz NSC.
Die NSC sind die Möglichkeit des Regisseurs, die Spieler in eine Richtung zu steuern. Denn, ähnlich wie in einem Computerspiel, sind die teilnehmenden Spieler frei in ihrer Handlung. Über sie hat Köhler keine Kontrolle, er kann sie lediglich mithilfe seiner NSC in eine gewisse Richtung lenken.
Angekommen an der Heesfelder Mühle geht es für mich zuerst in den großen Raum im Obergeschoss des Mühlengebäudes. Üblicherweise ist er Ausstellungsraum oder Proberaum, aktuell gleicht er einer mittelalterlichen Waffenkammer. Neben Schilden, Schwertern und Hellebarden stapeln sich auch Kostüme, die so genannte Gewandung. Hier bekomme ich von Köhler eine Grundausstattung, mit der ich als mittelalterlicher Dorfbewohner durchgehe. An der Seite eines erfahrenen NSC kann ich erst einmal die Zeltstadt erkunden, in der die Spieler und die meisten NSC lagern. Auch die Zelte sind an die mittelalterliche Optik angelehnt.
Mittelalter mit Fantasy-Aspekten
Eine Gruppe Waffenknechte, angeführt von einem Ritter, sitzt in ihrem Lager unter einem großen Pavillon, gemeinsam wird gefrühstückt. Auch hier sieht alles aus wie im Mittelalter, statt Plastikflaschen stehen Tonkrüge mit Getränken auf dem Tisch, gegessen wird mit der Hand. „Die Zwölf zum Gruße“ wird mir zugerufen. Eine gebräuchliche Begrüßungsformel, denn die Veranstaltung bespielt keine historisch korrekte Version des Mittelalters, es fließen Fantasyaspekte wie etwa aus „Der Herr der Ringe“ ein.
Etwa die Hälfte der Spieler, verteilt über mehrere Gruppen, hat einen Hintergrund aus dem Pen & Paper Rollenspiel „Das schwarze Auge“, aus dem auch diese Grußformel, gewidmet den zwölf Göttern der Welt, entspringt. Mit diesem Hintergrundwissen erkennt man unter all den Waffenknechten auch eine Person, die ein wenig herausspringt: Es ist der Magier der Gruppe, statt einer Axt oder einer Hellebarde führt er seinen Magierstab mit sich.
Nach dieser Erkundungsrunde geht es für mich zurück zur Mühle: Mit einigen Handgriffen, einem Bogen und Köcher wird aus dem Dorfbewohner ein Kurier und ich bin bereit für den ersten Auftrag der Spielleitung. Dem eben getroffenen Ritter darf ich einen Brief überbringen, in dem er weitere Anweisungen bekommt. Während ich auf eine Antwort warte, reicht mir eine Magd einen Krug mit Wasser, die Gastfreundschaft auf der Veranstaltung wird groß geschrieben.
Den Rest des Tages verbringe ich als Dorfbewohner oder Kurier auf der Veranstaltung, schaue einer mittelalterlichen Sportveranstaltung zu, ehe es am Abend auf das Highlight zugeht: Gemeinsam mit allen anderen NSC wird schnell die Verkleidung gewechselt, mit Turban und Schlangensymbolen auf der überwiegend schwarzen Kleidung werden wir zu Abgesandten eines Wüstenvolkes. Diese verhandeln mit den Spielern über ein wertvolles Artefakt, welches sie unbedingt haben wollen. Sollten Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, hat uns der Regisseur auch freigestellt, das Artefakt kriegerisch zu erobern. Obwohl wir uns in Verhandlungen mit den Spielern einigen und das Artefakt bergen konnten, entschließt sich das Wüstenvolk doch noch zum Angriff, wohl auch, um einen Teil des gezahlten Goldes zurück zu erobern.
Fotogalerie:
Damit bei diesen Kämpfen niemand ernsthaft verletzt wird, gibt es spezielle Ausstattung. Die Rüstung, die viele Spieler tragen, ist echt und wiegt je nach Ausführung bis zu 20 Kilogramm. Anders die Waffen: Um auch gegen ungerüstete Spieler und NSC kämpfen zu können, ohne sie real zu verletzen, bestehen die Waffen überwiegend aus Schaumstoff. Dieser wird, um ihm Stabilität zu verleihen, um einen so genannten Kernstab gewickelt. Anschließend wird der Schaumstoff versiegelt und täuschend echt bemalt. Mit diesen Schaumstoffwaffen sind auch echte Treffer kein Problem – Schläge auf Kopf und Intimbereich sind jedoch trotzdem tabu, um das Verletzungsrisiko zu minimieren. Auch wenn wir den Kampf gnadenlos verlieren, Spaß macht es trotzdem, in Manier der alten Ritter gegeneinander zu kämpfen.
Ein Hobby für jedermann
Nach dem entscheidenen Kampf des Tages öffnet auch die Taverne – in dem alten Speicher neben der Mühle wurde durch das Organisationsteam eine Taverne für das gemütliche Zusammensein eingerichtet. Über den Tag bekommen hier die Helfer Frühstück und Abendessen, abends ist die Taverne dann auch für Spieler geöffnet. Hier wird klar, dass ein durchaus gemischtes Klientel unter den etwa 40 Spielern und 35 NSC ist – von der Zwölfjährigen, die gemeinsam mit ihrem Vater auf eine solche Veranstaltung geht, bis zum 60-jährigen Veteranen, der schon seit etwa 20 Jahren das Hobby für sich entdeckt hat. Sie kommen aus ganz Deutschland, die längste Anreise hatte eine Spielergruppe aus Bayern. In der Taverne endete der Tag auch für mich mit einem kühlen Humpen Bier und einigen Gesprächen, ehe es zurück in die reale Welt geht.