17.50 Uhr und der Saal der Gaststätte ist gut gefüllt. Noch zehn Minuten bis zum Beginn. Wer sind diese Menschen? Im vergangenen Jahr waren es noch neun Mitglieder. Jetzt sitzen dort knapp 30 Gäste. Böse Zungen behaupten, beide Seiten – also Michaela Christodoulakis und Claus Vogel – sind auf Mitglieder-Fang gegangen, um die Wahl zu gewinnen. Wenn das stimmt, würden einige nach der Wahl wieder austreten. „Das hoffe ich doch nicht“, sagt Claus Vogel im Anschluss lachend. Doch was ist an diesem Abend eigentlich passiert?
Die Anspannung ist von Beginn an groß. Die Lager klar geteilt. Michaela Christodoulakis hat sieben bis acht Fans. Sie alle sitzen in ihrer direkten Nähe. Dann gibt es das Lager Claus Vogel/Armin Speckmann – überwiegend auf der gegenüberliegenden Seite. Schon im Vorfeld machen sie keinen Hehl daraus, dass heute ein neuer Vorstand gewählt wird. Und dann sind da noch einige Gäste, beispielsweise der FDP-Kreisvorsitzende Axel Hoffmann, Jens Holzrichter von der FDP Lüdenscheid, die Europawahl-Kandidatin Lydia Timmer, Versammlungsleiterin Andrea Liproß aus Hemer und andere Interessierte.
Schon zu Beginn wird gehörig aufs Tempo gedrückt. Immer mit dem Hinweis „wir haben ja noch den Punkt Wahlen“. Dass Lydia Timmer, die FDP-Kandidatin für die Europawahl, da ist, wird maximal zur Kenntnis genommen. Eigentlich sollte es eine Fragerunde mit ihr geben. Doch die Anwesenden haben keine einzige Frage. Und so bleibt ihr Besuch eine Randnotiz. „Sie haben heute Wichtigeres“, sagt Timmer und nimmt es offenbar gelassen, dass wirklich gar kein Interesse an ihrer Person besteht.
Schon vor den Wahlen gibt es Streit
Den ersten größeren Konflikt gibt es schon vor den eigentlichen Wahlen, nämlich als es darum geht, was überhaupt gewählt werden soll. Da die FDP einen so großen Zulauf hat, soll auch der Vorstand erweitert werden. Bisher gibt es vier Posten. Nun steht zur Debatte, diesen um einen Schriftführer, einen stellvertretenden Schriftführer und Beisitzer zu erweitern. Die aktuelle Situation im Vorstand sei vor allem deswegen unglücklich, weil es bei einer geraden Anzahl von vier Vorstandsmitgliedern schnell zu einer Pattsituation komme. Claus Vogel spricht sich für die Wahl eines Schriftführers aus. Michaela Christodoulakis für einen Schriftführer und einen weiteren Beisitzer. „Aber dann haben wir doch wieder eine gerade Anzahl von Vorstandsmitgliedern, das macht doch gar keinen Sinn“, gibt Armin Speckmann zu bedenken. Außerdem müsse ein so großer Vorstand auch immer gestellt werden können. „Das können Sie ja auch anpassen“, sagt Moderatorin Andrea Liproß. Das wiederum kann Axel Hoffmann nicht verstehen und mischt sich ein: „Man kann doch nicht einfach immer machen, was man will. An das, was heute hier beschlossen wird, hat man sich zu halten.“
Schon hier ist eine einfache Einigung nicht möglich. Es kommt zur Wahl. Am Ende ist klar, dass es nicht zwei Beisitzer geben wird. Die Versammlung folgt dem Vorschlag der amtierenden Vorsitzenden nicht. Ihr Vorschlag bekommt von den 22 Wahlberechtigten zwölf Nein-Stimmen und eine Enthaltung.
Damit ist zumindest schon geklärt, welche Posten im nächsten Schritt besetzt werden. Nämlich: Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender, Schatzmeister, Beisitzer und Schriftführer. Andrea Liproß ruft zur Wahl auf: „Wer hat Vorschläge?“ Sofort kommt aus dem linken Flügel des Saals: „Wiederwahl.“ Auf die Frage, ob es weitere Kandidaten gibt, kommt von Armin Speckmann der Vorschlag: „Claus Vogel.“ Speckmann ist Beisitzer, Vogel stellvertretender Vorsitzender im aktuellen FDP-Vorstand. Beide fallen damit der Vorsitzenden in den Rücken. Michaela Christodoulakis und Claus Vogel werden gebeten, sich nun vorzustellen. Zahnärztin Michaela Christodoulkakis macht es kurz. Seit 2018 ist sie in der FDP, leitet seit 2019 den heimischen Ortsverband. Ihr Gegner, Claus Vogel, ist 1976 geboren, führt eine Werbeagentur in Lüdenscheid, ist seit 2018 in der FDP und seit 2022 sachkundiger Bürger für die FDP im Kreistag. „Ich möchte die FDP Nachrodt-Wiblingwerde aus der Lethargie der letzten eineinhalb Jahre führen“, erklärt er.
An den beiden Kandidaten besteht mehr Interesse als an der Europawahl-Kandidatin. Beide bekommen von einem Besucher die Frage gestellt: „Wie stellen Sie sich eine Lösung für die Lennebrücke vor?“ Michaela Christodoulakis macht den Anfang. „Das Problem ist, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagt sie und wird wenig konkret. Weiter: „Durch irgendwelche unglücklichen Umstände ist es dazu gekommen, dass Straßen.NRW eingeschaltet wurde.“ Mehrfach wiederholt sie die Problematik Straßen.NRW. Ob es ein Versprecher in der Aufregung war, und das Planfestellungsverfahren gemeint war, blieb offen. Wichtig sei es, immer wieder auf die Probleme von Nachrodt aufmerksam zu machen. Auch wenn Nachrodt-Wiblingwerde nichts Großes sei. Sie habe daher FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing geschrieben „auch wenn es sich um eine Landstraße handelt“. Eine Antwort habe sie bisher allerdings noch nicht bekommen.
Strukturierter und klarer antwortete Vogel – wenngleich auch er keine Lösung hat: „Ich kann keine Brücke bauen. Aber wir können nerven, knibbeln und immer wieder den Finger in die Wunde legen. Und vielleicht müssen wir auch mit rechtlichen Mitteln Druck aufbauen.“ Auch er sieht das Problem im Konflikt mit dem Grundstückseigentümer, der zur Einleitung des Planfeststellungsverfahren führte. Während Vogel redet, sitzt Michaela Christodoulakis mit verschränkten Armen auf der anderen Seite. Mal lacht sie, mal schüttelt sie den Kopf, mal rollt sie mit den Augen. Die Fronten sind verhärtet, das ist auch den Außenstehenden klar.
Claus Vogel gewinnt mit sechs Stimmen Vorsprung
Es kommt zur Wahl. Abgestimmt wird geheim. Am Ende ist das Ergebnis eindeutig: Die FDP bekommt einen neuen Vorsitzenden. Mit 14 zu acht Stimmen wird Claus Vogel gewählt.
Und weiter geht´s. Der Posten des stellvertretenden Vorsitzenden steht nun an. Vorgeschlagen wird Sebastian Müller. Der Wiblingwerder ist 1996 geboren, hat eine kaufmännische Ausbildung und wird einmal das Tiefbauunternehmen seines Vaters übernehmen. Es kommt zur Wahl und der nächste Streit bahnt sich beim Auszählen der Stimmen an. Andrea Liproß verkündet: „14 Mal Ja, drei Enthaltungen und fünf ungültige Stimmen.“ Was ist da los? „Die Zettel waren leer und somit ungültig“, erklärt Andrea Liproß. „Völligen Blödsinn“ findet das Axel Hoffmann. Ein leerer Zettel sei immer eine Enthaltung. „Stimmt nicht“, sagt daraufhin Jens Holzrichter. „Andrea Liproß hätte dann vor dem Wahlgang darauf hinweisen müssen, dass ein leerer Zettel einer Enthaltung gleich kommt. Sonst gilt ein Strich oder ein leerer Zettel nicht“, erklärt der Lüdenscheider. Und jetzt? Eine Neuwahl mit genauer Erklärung? Es wird noch eine Weile diskutiert und dann einigen sich die Mitglieder – ganz ohne Wahl – darauf, dass das Endergebnis kein anderes sei und somit alles bleibt, wie es ist.
Auch die nächsten Wahlen sind weit weg von einstimmig. Schatzmeisterin Patricia Tessmer-Höfelmann trat nicht erneut zur Wahl an, da sie nicht mehr in der Gemeinde wohne. Für sie kommt Armin Speckmann (15 Ja-, vier Nein-Stimmen und drei Enthaltungen). Damit macht Speckmann seinen Beisitzer-Posten frei. Für ihn rückt Dr. Michael Brömmer (18 Ja-, drei Nein-Stimmen und eine Enthaltung) in den Vorstand nach. Mira Vogel (18 Ja-, zwei Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen) wird Schriftführerin. Zudem wurde Claus Vogel (18 Ja-Stimmen und vier Enthaltungen) zum Deligierten für den Kreishauptausschuss der FDP gewählt. Sebastian Müller (18 Ja-, 3 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen) wird sein Stellverteter.
Das sagen Gewinner und Verlierer:
LokalDirekt hat nach der Vesammlung mit Claus Vogel und Michaela Christodoulakis gesprochen. „Eine Kampfabstimmung ist natürlich nicht üblich. Aber das Ergebnis war vorher schon absehbar“, sagt Claus Vogel. Und die vielen neuen Mitglieder seien auch nicht darauf zurückzuführen, dass es einen Putsch aus dem Flügel Speckmann/Vogel geben sollte. „Wir haben die Leute einfach angesprochen. Wir mussten uns gar nicht anstrengen. Ich denke, das liegt auch an dem Vakuum, das die anderen Parteien hinterlassen“, erklärt Vogel. Sein Ziel sei es nun, die Partei, die im Tiefschlaf lag, wieder zu wecken und sich aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen. 2025 möchte die FDP eine Fraktion im Rat stellen.
Und Michaela Christodoulakis? „Ich engagiere mich weiter. Aber erstmal nicht auf kommunaler Ebene. Man wird den richtigen Posten für mich finden. Nennen wir es eine glückliche Abwahl.“ Auf die Frage, was sie damit meine, gab es keine Antwort.
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