Dass es in Lüdenscheid rund 200 obdachlose Personen gibt, lässt sich bei einem Rundgang durch das Stadtgebiet nicht sofort erkennen. „Beim Stichwort Obdachlose denken die meisten Menschen an einen Mann, der mit einem verschmutzten Schlafsack und einer Plastiktüte mit seinen Habseligkeiten in der Fußgängerzone liegt und um Geld bettelt“, wissen Julia Scheideman und Daniela Olah nur zu gut. „Aber die Obdachlosigkeit kommt schleichend, betrifft immer mehr auch Frauen und ist zu Beginn noch nicht für jeden erkennbar.“
Beide arbeiten für die Caritas in Lüdenscheid und sind zuständig für das Projekt „Endlich ein Zuhause“, mit welchem Obdachlosigkeit in erster Linie verhindert werden soll. Insgesamt konnte seit Beginn des Projektes Wohnungslosigkeit in 63 Fällen abgewandt werden und zwei Personen haben es geschafft, tatsächlich von der Straße in eine eigene Wohnung zu kommen.
Obdachlosigkeit sei ein Thema, über das nicht gern gesprochen werde. Wegzugucken sei für viele Menschen leichter als zu helfen. „Dabei ist das eine Sache, die jeden – wirklich jeden – treffen kann“, betont Julia Scheidemann. „Das ganze ist wie ein Zeitstrahl“, erklärt sie den Weg von der eigenen Wohnung auf die Straße. „Erst verliert man seine Wohnung, dann kommt man noch einige Zeit bei Verwandten oder Freunden unter, dann folgt die Notunterkunft“, beschreibt sie die Abwärtsspirale. Ist man dort erst einmal angekommen, wird der Weg in die eigene Wohnung immer schwieriger.
Kaum jemand kann sich vorstellen, jemals selbst in eine solche Situation zu kommen, aber Daniela Olah kann unzählige Beispiele nennen, wie es zum Wohnungsverlust kommen kann. „Da ist die klassische Kündigung wegen Eigenbedarf“, beginnt sie ihre Aufzählung. „Der Mieter bekommt dann bis zu neun Monate Zeit, sich eine andere Wohnung zu suchen, aber gerade bei dem aktuellen Wohnungsmarkt ist es schwer, eine bezahlbare Alternative zu finden“, weiß sie. Vor allem, wenn besondere Voraussetzungen für die Wohnung nötig sind. „Zum Beispiel eine behindertengerechte Wohnung, eine Wohnung für eine Einzelperson oder umgekehrt, eine Wohnung für Familien mit vielen Kindern.“
Es gibt zahllose weitere Szenarien, durch die Mieter ihre Wohnung verlieren können. Allen voran der plötzliche Verlust der Arbeitsstelle. Sei es, weil die Firma insolvent wurde, oder eine schwere Krankheit das Arbeiten unmöglich macht. Auch eine Trennung oder der Tod des Partners, dessen dann fehlendes Einkommen die Miete unbezahlbar macht, führen häufig zu Mietrückständen und im Endeffekt zur Kündigung durch den Vermieter.
„Wenn solche Fälle eintreten, ist es wichtig, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern sich sofort Hilfe zu holen. Neun Monate Kündigungsfrist hören sich lang an, aber wenn ich erst nach einem halben Jahr aktiv mit der Wohnungssuche beginne, wird die Zeit zu knapp“, wissen Julia Scheidemann und Daniela Olah aus ihrer täglichen Arbeit. Sie würden sich wünschen, dass jeder, der Gefahr läuft seine Wohnung zu verlieren, sich möglichst schnell an sie oder das zuständige JobCenter wendet. „Wenn erst eine Räumungsklage ausgesprochen wird, ist es eigentlich schon zu spät. Und wenn potenzielle Vermieter schon die Adresse der Notunterkunft als aktuellen Wohnort genannt bekommen, ist die Unterschrift des Mietvertrages fast schon illusorisch“, wissen die beiden aus Erfahrung.
„Je früher die Menschen zu uns kommen, desto besser können wir helfen“, betonen sie. In einem ersten Gespräch würde dann gemeinsam überlegt, welche Ansprüche gestellt werden können, sie helfen bei den Antragsstellungen und begleiten auf Wunsch auf bei den Besichtigungsterminen und Gesprächen mit den potenziellen Vermietern. Wenn es dann zu einer Vermietung kommt, lassen sie ihre Klienten – aber auch die Vermieter – nicht allein. „Wir helfen auch nach dem Einzug, beantragen Folgehilfen, kontrollieren, dass der Briefkasten geleert wird und sind auch für die Vermieter immer ein Ansprechpartner, falls es doch mal Probleme geben sollte.“
Generell sind die Vermieter für die Mitarbeiterinnen der Caritas natürlich ein wichtiger Faktor. Dass Obdachlose für sie nicht die Mieter der ersten Wahl sind, wissen Julia Scheidemann und Daniela Olah natürlich. „Aber wir treffen auch eine Vorauswahl unter unseren Klienten, bevor wir ihnen einen Wohnung vorschlagen. Die Klienten, die wir aktuell für nicht geeignet halten, eine Wohnung zu mieten, versuchen wir ‚mietfähig‘ zu machen, indem wir Ihnen Klinikaufenthalte oder Therapien vermitteln. Nur bei einem guten Bauchgefühl machen wir den gemeinsamen Weg zum Vermieter.“
Dabei betonen beide aber auch: „Wir sind keine Makler. Wir geben aber Hilfe zur Selbsthilfe.“ Für diese Hilfe fordern sie aber auch Unterstützung durch die Politik. Es müsse unbedingt bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden ist, ihr größter Wunsch. „Die Hilfe muss einsetzen, bevor unsere Klienten auf der Straße stehen. Wohnen muss ein Menschenrecht werden.“
Ebenso wünschen sie sich mehr Aufklärung, die schon in den Schulen beginnen sollte. „Ab Klasse sieben können Schüler verstehen, dass nicht jeder Obdachlose an seinem Schicksal selber schuld ist. Sie müssen begreifen, dass es sie selber treffen kann und müssen die Wege kennen, die ihnen helfen, nicht in eine solche Situation zu geraten“, denn, auch das wollen die Caritasmitarbeiterinnen verdeutlichen: „Das Leben eines Obdachlosen ist nicht entspannt. Sie haben immer ein Auge offen, haben Angst vor Diebstahl ihrer wenigen Habseligkeiten, vor Verletzungen oder sogar – wie bereits passiert – vor tödlichen Angriffen.“
- Das Projekt „Endlich ein Zuhause“ wird vom Caritasverband für das Kreisdekanat Altena-Lüdenscheid e.V. im südlichen Märkischen Kreis durchgeführt und vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union kofinanziert.
- Es wurde am 1. September 2022 ins Leben gerufen.
- Es fehlt vor allem bezahlbarer Wohnraum für 1-Personen-Haushalte oder für Familien mit mehreren Kindern.
- Schulen können sich an die Caritas, Daniela Olah, Tel. 02351 – 905-037 oder Julia Scheidemann, Tel 02351 – 905-038 wenden, um Termine für Besuche des Unterrichts zu vereinbaren.