Benzin, Lebensmittel, Energie – die Corona-Pandemie, Arbeitskräftemangel, Lieferkettenprobleme und nicht zuletzt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben die Inflationsrate in den vergangenen Monaten spürbar in die Höhe schnellen lassen. Hiervon betroffen sind nahezu alle – besonders aber diejenigen, die schon vorher an der Armutsgrenze lebten.
Mittwochs ist Ausgabetag bei der Tafel in Schalksmühle. Die Schlange der Menschen, die dort bei hochsommerlichen Temperaturen in der prallen Sonne stehen und geduldig warten, ist bereits vor dem offiziellen Ausgabebeginn um 15 Uhr lang, das Treiben hinter dem improvisierten Tresen – eigentlich ein Gartentisch – ist hektisch.
Der guten Laune und der Gelassenheit von Sabine Kapfer tut das jedoch keinen Abbruch. Wie lange sie schon für die Schalksmühler Tafel tätig ist? „Keine Ahnung, aber definitiv schon sehr lange“, antwortet sie ohne dabei auch nur für eine Sekunde die Ausgabe der bereits fertig gepackten Lebensmittelkisten aus den Augen zu lassen. Das Team ist eingespielt, jeder Handgriff sitzt, während nebenbei noch miteinander gescherzt und gelacht wird.
Trotzdem ist die Situation ernst und stellt die Tafeln, nicht nur in Halver und Schalksmühle, aktuell vor ganz neue Herausforderungen. „Der Zulauf hat sich durch die Situation in der Ukraine und die Tatsache, dass die Lebenshaltungskosten so enorm gestiegen sind, gut und gerne verdoppelt“, erklärt Sabine Kapfer während sie ein Toastbrot aus einer der Kisten nimmt, um es an eine wartende Rentnerin weiterzureichen.
„Aktuell schmeißen wir den Laden hier quasi zu dritt“, erklärt sie weiter im Gespräch mit LokalDirekt. „Wir“, das sind in diesem Fall Sabine Kapfer, Astrid Lehmann und Alexander Ritter, in Halver sind laut Kapfer „vier oder fünf Helfer tätig.“ Sie alle machen den Job ehrenamtlich, erhalten also keinerlei Geld für ihre Arbeit. Auf die Frage, wie lang ihre Arbeitstage denn so durchschnittlich sind, macht sie eine abwiegelnde Kopfbewegung: „Meist fangen wir um 8 Uhr morgens an und machen um frühestens 14 Uhr Feierabend.“ An den Ausgabetagen jedoch – mittwochs in Schalksmühle und freitags in Halver – „kann so ein Arbeitstag auch schon mal bis 19 Uhr oder länger gehen, je nachdem.“
Denn mit der Ausgabe der Lebensmittel an den beiden Tagen ist es noch lange nicht getan: Die Spenden müssen nicht nur koordiniert, sondern auch – unter anderem bei Supermärkten – abgeholt, sortiert, gepackt und in die Kühlung gebracht werden. Der Transport der Spenden erfolgt mit dem hauseigenen Transporter, der die treffende Aufschrift „Glücksbringer“ trägt – und seinem Namen zweifelsohne gerecht wird, wenn es um die Menschen geht, die von ihm beliefert werden. Weniger glücklich machen Sabine Kapfer jedoch die „enorm hohen Kosten, die regelmäßig für Reparaturen und TÜV anfallen.“ Dies, so führt sie weiter aus, sei „manchmal alles kaum zu schaffen.“ Die Tafeln in Deutschland finanzieren sich fast ausschließlich über Spendengelder, daher kann das Geld – besonders bei ungeplanten Ausgaben – schon mal knapp werden.
Zu der erhöhten Nachfrage kommt erschwerend die Tatsache hinzu, dass es aktuell immer schwieriger wird, Lebensmittelspenden von Supermärkten zu bekommen – und das ist, mit Blick auf die seit zwei Jahren oftmals immer noch leeren Regalfächer, auch kein Wunder. Hier haben sich Hamsterkäufe, Beschaffungsprobleme und Lebensmittelverschwendung zu einem für die Tafeln tragischen Gesamtbild zusammengefügt.
Auf die Frage, woran es denn aktuell am meisten fehle, muss Sabine Kapfer nicht lange überlegen: „An allem: Geld, Lebensmitteln, ehrenamtlichen Helfern, völlig egal.“ Und wie zur Bestätigung steht in diesem Moment eine junge Mutter an der Ausgabe, ihren etwa zweijährigen Sohn auf dem Arm, und fragt nach Windeln. Sabine Kapfer schaut sich suchend um, dann schüttelt sie bedauernd den Kopf. „Leider nicht, tut mir leid“, entschuldigt sie sich, und die junge Frau versucht sichtlich, ihre Enttäuschung zu verbergen. So recht gelingen will ihr das aber nicht.
„Es würde auch schon helfen, wenn aktuell nur die kämen, die es auch wirklich nötig haben“, erzählt Kapfer, während sie dem kleinen Sohn einer anderen wartenden Mutter zuerst eine Sesamstange in die Hand drückt und diesen dann auf den Arm nimmt, damit die junge Frau in Ruhe ihre Taschen packen kann.
Weiterhin hat das Team die Lage im Griff, obwohl immer mehr Menschen ankommen und sich in die Schlange stellen. Drei Euro kostet eine volle Kiste mit Lebensmitteln. Das Angebot variiert natürlich. Je nachdem, was gerade „vorrätig“ ist. Derselbe Preis wird auch für die sogenannten Hygienekisten, also solche mit Pflegeprodukten verlangt. Die angebotenen Lebensmittel sind vielleicht „manchmal kurz vor dem Ablaufdatum, aber natürlich immer noch gut. Darauf achten wir“, betont Kapfer, während sie mit ihrer freien Hand in eine der besagten Kisten greift und einen Apfel mit Druckstelle entsorgt.
Kurz darauf – es sind ungefähr fünfundvierzig Minuten seit Beginn der Ausgabe vergangen – entschuldigt sie sich. „Ich muss noch Kisten packen“, erklärt sie, und tatsächlich gehen diese schon zur Neige.
Eine telefonische Nachfrage seitens LokalDirekt beim sozialen Bürgerzentrum Hand in Hand Kierspe bestätigt genau dieses Bild noch einmal. Auch hier habe sich laut des ersten Vorsitzenden des Vereins, Wolfgang Koll, „der Zulauf in den vergangenen Monaten mehr als verdoppelt.“ „Besonders schwierig ist die aktuelle Situation natürlich vor allem für diejenigen, die schon vorher von uns abhängig waren“, betont Koll.
Wer aktiv helfen und seinen Teil dazu beitragen möchte, dass die Tafeln im Umkreis die Grundversorgung für diejenigen, die es am dringendsten brauchen, aufrechterhalten können, hat vielerlei Möglichkeiten: Ehrenamtliche Helfer werden immer, aber, laut Kapfer, „aktuell wirklich ganz dringend gesucht“, aber nicht weniger willkommen sind Lebensmittel-, Sach- oder Geldspenden.
Über Hilfe in der Region freuen sich:
Schalksmühler Tafel
und
Hand in Hand Kierspe