Eigentlich müsste Thomas Klotsche von seinem Job und von Hunden die Nase gestrichen voll haben. 30 Jahre arbeitet der 54-jährige Lüdenscheider jetzt als Postzusteller. Bereits fünf Mal wurde er während dieser Zeit von Hunden angefallen. „Die Angst schwingt immer ein wenig mit“, sagt er. Wie kann er sie überwinden?
Bei einer Schulung auf dem Gelände des Lüdenscheider Zustellstützpunktes an der Noltestraße steht der der großgewachsene Mann einem belgischen Schäferhund gegenüber. Clip, gut 35 Kilogramm schwer, bellt und fletscht die Zähne. Dann stürmt das Muskelpaket auf vier Beinen auf Thomas Klotsche zu. Clip entreißt ihm die Paketattrappe und zerfetzt sie in Sekundenschnelle.

Passieren kann nichts. Hundetrainer Michael Pfaff sichert den Zusteller. Sein Kollege Uwe Graute hält Clip sicher an der Leine. „Für den Hund ist das ein Spiel“, sagt Michael Pfaff. Für Zustellerinnen und Zusteller kann im Alltag eine solche Begegnung böse enden. Thomas Klotsche hat es erlebt. Allein zwei Mal in diesem Jahr. Ein kleiner Hund hat ihn mal in die Wade gebissen. Schmerzhaft. Die Begegnung mit einem Dalmatiner hätte noch böser enden können. Das Tier stürmte auf ihn zu und packte ihn an der Schulter. „Nur meine dicke Winterjacke hat mich vor schwersten Verletzungen geschützt“, sagt er.
Die Begegnung mit Clip hat ihn schon Überwindung gekostet. Aber wie andere Kolleginnen und Kollegen stellte er sich bei der Schulung freiwillig dieser Aufgabe.
Zwölf Zustellerinnen und Zusteller aus dem südlichen Märkischen Kreis nutzten das Angebot der Post, sich im Umgang mit Hunden schulen zu lassen. „Das Training ist Teil des Gesundheitsvorsorgeprogramms des Unternehmens“, sagt Dieter Schuhmachers aus der Pressestelle der DHL-Group. Leider passiere es nach wie vor, dass Zustellerinnen und Zusteller von Hunden angegriffen und gebissen würden. Im vergangenen Jahr wurden 1800 Fälle registriert. „In rund 1000 Fällen waren die Verletzungen so schwer, dass die Zustellkräfte einen oder mehrere Tage ausfielen.“ Dramatisieren will Dieter Schuhmachers diese Zahlen aber nicht. Rund 116.500 Zustellerinnen und Zusteller von Deutsche Post und DHL seien an sechs Tagen in der gesamten Republik unterwegs. Begegnungen mit Hunden seien dabei an der Tagesordnung – und meistens laufe der Kontakt durchaus erfreulich ab. „Klar ist aber: Jede Verletzung durch einen Hund ist eine zu viel“, betont er.

Deshalb arbeitet das Unternehmen mit den erfahrenen Hundetrainern Michael Pfaff und Uwe Graute zusammen. Für Markus Wolfgramm, Bezirksleiter des Zustellstützpunktes Lüdenscheid, kam das Angebot zur richtigen Zeit. „Wir haben hier im Bezirk eine auffallend hohe Zahl von Angriffen“, sagt er. „Der Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle.“
Auf dem Programm der Schulung standen Theorie und Praxis. Trainer Michael Pfaff erklärte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wie sie die Körpersprache von Hunden lesen können. Nur eins von vielen Beispielen: Auch die Richtung, in die ein Hund blickt, ist ein Signal: Dreht das Tier seinen Kopf seitlich weg, zeigt es, dass er nicht aggressiv ist, vielleicht sogar unsicher.
Außerdem sprach eine besondere Warnung aus. „Geben Sie den Hunden niemals Leckerlis.“ Die Tiere gewöhnen sich daran. „Und wenn es dann mal nichts zu Naschen gibt, beißen viele zu.“
Mit einer Ausnahme stellten sich die Zustellerinnen und Zusteller dem Praxisteil. Eine junge Frau verzichtete auf die Begegnung mit den Hunden. Sie war von einem Hund attackiert worden, leidet noch immer unter den Folgen und wird zurzeit noch psychologisch betreut.

Unter anderem übten die Trainer mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Begegnung mit Hunden auf der Straße sowie das Verhalten am Gartenzaun. Zwar seien Hundehalterinnen und -halter verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Zustellkräfte ihre Grundstücke gefahrlos betreten könnten. Seien aber mehrere Hunde im Spiel, könne es schnell brenzlig werden. „Den einen Hund hat der Halter schnell im Griff. Dann kann aber der zweite schon längst jemanden angefallen haben.“ Wie schnell und mit welcher Wucht das passieren kann, demonstrierten Trainer Uwe Graute und Schäferhund Clip.
„Sicherheit geht in jedem Fall vor“, unterstreicht Stützpunktleiter Markus Wolframm. Notfalls solle die Sendung dann vor dem Grundstück abgelegt werden.
Auch er hat schon viel erlebt. So hatte er bereits einmal die Belieferung eines Kunden eingestellt, der auf seinem Grundstück sieben Hunde hielt. „Der Mann musste seine Sendungen in der Filiale abholen.“ Anschließend dauerte es immerhin drei Monate, bis der Hundehalter einsichtig wurde und einen Briefkasten an der Grundstücksgrenze anbrachte.
Markus Wolframm kennt aber auch andere Fälle. „Es gibt auch Hundehalterinnen- und halter, die sich für Vorfälle mit ihren Tieren entschuldigen, manchmal sogar mit einem Frühstückskorb.“
Wenn’s ums Schmerzensgeld geht, wird’s oftmals schwierig. Thomas Klotsche hat beim letzten Mal 500 Euro erhalten. „Dieses Mal verlangt mein Rechtsanwalt 1500 Euro“, sagt er. Der Ausgang des Verfahrens sei aber noch ungewiss.
Thomas Klotsche ist trotz allem nicht zum Hundehasser geworden. Seine Tochter wünscht sich einen Hund. Oft besucht er mit ihr das Tierheim Dornbusch. Dann gehen beide mit einem Hund aus dem Heim spazieren. „Dabei ist noch nie etwas passiert. Hunde greifen mich offenbar nur an, wenn ich Dienstkleidung trage“, wundert sich der Zusteller.