„53 Jahre habe ich in diesem Chor gesungen. Natürlich fällt das schwer und es wird etwas fehlen“, sagt Ernst August Dahlhaus. Er ist einer der noch aktiven Sänger. Acht waren es zuletzt. „Es beschäftigt mich schon den ganzen Tag“, gibt er zu. Der Chor sei für ihn immer mehr gewesen als Singen. „Man ist ja auch froh, wenn man mal raus kommt und was hört. Das wird jetzt nachlassen – auch wenn wir uns noch einmal im Monat zum Stammtisch treffen werden“, sagt Dahlhaus.
Ja, die Gemeinschaft sei immer schön gewesen und ein wichtiger Bestandteil der Chorarbeit, bestätigt auch Dieter Simon. Die Kameradschaft, der Klangkörper, der beim Singen in der Gruppe entstehe und das gemeinsame Verfolgen von Zielen würden ihm gewiss fehlen. „Teilweise haben wir uns bis zu 70 Mal im Jahr getroffen“, erzählt der Vorsitzende Hans-Jürgen Hohage. Denn neben den Chorstunden habe es immer auch viele Auftritte gegeben. Neben den großen Konzerten seien das vor allem die Geburtstagsständchen gewesen. Der Chor überraschte Wiblingwerder, die 90 Jahre oder älter wurden. „Wir haben oft bei Holzrichter gesungen, aber auch schon in so manch einem Wohnzimmer oder auch Flur. Platz haben wir immer gefunden“, berichtet Hohage lachend. Mit acht aktiven Sängern, so ehrlich müsse man jedoch sein, sei das einfach nicht mehr möglich. Falle ein Sangesbruder aus, sei ein Auftritt schon nicht mehr möglich gewesen. „Wir steuern alle auf die 80 zu. Wir sind zwar alle noch mobil, aber das lässt auch alles nach“, erklärt Hohage.
Chorleiterin Alfia Möllmann bedauert das Aus ebenfalls. „Die Jungs sind mir ans Herz gewachsen“, gibt sie zu. 15 Jahre lang leitete sie die Geschicke des Chores. Sie hatte ihn einst von Siegfried Tietze übernommen, der 30 Jahre lang die Leitung inne hatte. Den besonderern Spirit der Gemeinschaft hat auch Alfia Möllmann gespürt: „Die Männer kennen sich zum Teil schon seit der Schule. Das macht viel aus. Es ist eine tiefe Verbindung. Ich beneide sie schon fast ein wenig darum. Ich habe keine Schulfreunde hier bei mir in der Nähe in Deutschland.“
Aber, und das stimmt die Männer nachdenklich, in den vergangenen Jahren haben sie auch viele Freunde aus dem Chor auf ihrer letzten Reise begleitet. „Allein zwischen 2018 und 2021 haben wir sieben Mitglieder verloren“, erzählt Hans-Jürgen Hohage. Nachwuchs gebe es nicht. Man habe in den vergangenen Jahren immer versucht, jüngere Mitglieder zu gewinnen, sei jedoch gescheitert.
Im Rahmen der Auflösungsversammlung blickten die Mitglieder noch einmal zurück auf ihr bewegtes Chorleben. Die meisten Sänger traten als junger Mann in den Chor ein, der einst 1895 von Mitgliedern des Krieger- und Wehrvereins gegründet wurde. Viele sind mehr als 50 Jahre dabei. „Man kann schon sagen, dass wir deutlich mehr Höhen als Tiefen hatten“, betont Hans-Jürgen Hohage. Er erinnere sich beispielsweise noch an einen Besuch eines Wiener Chores Anfang der 1980er-Jahre. Das Konzert sei ein echter Höhepunkt gewesen.
Doch nun ist das Aus beschlossene Sache. Kurz und schmerzlos wurde die Versammlung abgehalten. „Es ist ja allen klar gewesen, was wir hier heute machen – und wir mussten uns auch eingestehen, dass das einfach richtig ist“, erklärt Hans-Jürgen Hohage. Ein paar Formalien gilt es nun noch abzuwickeln. Beispielsweise wird das Vereinsvermögen an die Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde gehen. „Die muss es dann für einen guten Zweck weitergeben“, erklärt Hohage. Ganz aufeinander verzichten möchten die Sänger jedoch nicht. Daher wird ein neuer Stammtisch gegründet. Einmal im Monat treffen sich die Chorsänger dann noch in der Schönen Aussicht. Auch Chorleiterin Alfia Möllmann lässt sich das nicht entgehen: „Natürlich komme ich auch. Ich muss doch meine Jungs sehen.“