In den sozialen Medien brodelt das Thema. Nachbarn berichten, der Tote habe seit Jahren völlig isoliert und verwahrlost gelebt. Daraufhin gab es teils heftige Anfeindungen, warum sich die Behörden und Nachbarn nicht gekümmert hätten. „Das ist absoluter Blödsinn“, sagt Ordnungsamtsleiter Sebastian Putz. Der Mann habe seit vier Jahren dort gewohnt und die Behörden seien mehr als einmal aktiv gewesen und auch die Nachbarn hätten sich immer wieder intensiv bemüht. Allerdings ohne Erfolg. Denn der 64-Jährige habe sämtliche Hilfe abgeleht.
„Wir und die Nachbarn haben mit allen Möglichkeiten, die uns gegeben sind, versucht dem Mann zu helfen und ihn zu unterstützen. Alle, die ihn kannten, haben einen Kloß im Hals und einen Stein auf dem Herzen“, sagte Putz. Die für den Ordnungsamtsleiter eher ungewöhnliche Emotionalität zeigt, wie nah der Fall geht. „Wir kannten die Person und haben wirklich versucht zu helfen. Die Nachbarn waren immer wieder bei uns und haben um Hilfe gebeten. Aber letztlich wurde diese vom Betroffenen immer abgelehnt und so hart das klingt: Jeder hat in Deutschland das Recht auf Verwahrlosung. Jeder darf so leben, wie er möchte. Gegen den Willen sind wir machtlos“, betonte Putz.
Eine konkrete Eigen- oder Fremdgefährdung sei nicht erkennbar gewesen, somit sei eine Zwangseinweisung unmöglich gewesen. „Es lag einfach keine akute psychische Störung vor, die eine Einweisung ermöglicht hätte“, erklärt der Ordnungsamtsleiter. Doch wenn sich jemand partout nicht helfen lassen wolle, seien einem in Deutschland die Hände gebunden.
Auch die Bürgermeisterin kennt den Fall und stellt sich hinter Putz und die Nachbarn: „Ich weiß, dass es intensive Bemühungen gab. Auch mit dem sozialpsychiatrischen Dienst. Aber wenn der Betroffene nicht mitmacht, da können wir nichts machen“, betonte auch sie.
Ein Einzelfall sei das jedoch nicht, wie Putz berichtet. Es gebe schon immer mal vergleichbare Fälle in Nachrodt-Wiblingwerde: „Natürlich ist das hier keine Regel, sondern immer noch eine Ausnahme. Es gibt aber immer mal wieder Fälle, bei denen man nicht weiterkommt und nur zusehen kann – so schwer das auch fällt.“ Es gebe dabei auch Fälle, die sich nicht so leicht abschütteln ließen und sich fest im Gedächtnis eingebrannt hätten. „Es gab mal eine sehr alte, demente Person, die fast blind war. Diese Person hat auf der Straße gesessen, weil sie dachte, es sei die Terrasse. Aber die Person hat damit weder sich noch andere gefährdet. Da kannst du nichts machen. Damals wurden Anträge auf Betreuung gestellt, die aber nicht akzeptiert wurden“, erinnert sich Putz. Irgendwann sei der Moment, wo alle Mittel ausgeschöpft seien, so auch im Fall des Mannes an der Schulstraße. „Und das ist einfach nur frustrierend. Ich bekomme oft die Frage gestellt, ob denn erst etwas passieren muss, damit etwas passiert – und leider muss ich diese Frage manchmal mit Ja beantworten“, sagt Putz. Das liege halt an den gesetzlichen Rahmenbedigungen.
Es gebe aber auch andere Fälle, solche die Mut machten, weiterzumachen: „Es gibt schon Personen, die unsere Hilfe annehmen.“ Er erinnert sich an einen verwahrlosten, alleinstehenden Mann: „Hinter jeder Person, die so lebt, steckt eine Geschichte und diese war wirklich besonders traurig. Es kam so, dass der Mann, der verwahrlohst lebte und sogar unterernährt war, ins Krankenhaus musste.“ Der Mann habe dies vehement abgelehnt. „Aber dann hat er uns plötzlich bedroht. In dem Moment lag eine Fremdgefährdung vor und er wurde eingewiesen. Dort wurde er aufgebaut und inzwischen lebt er glücklich in einem betreuten Wohnen. Er hätte uns damals vermutlich nichts getan. Aber so war der gesetzliche Rahmen da und heute ist er dankbar und hat sein Leben wieder im Griff.“
Was das Thema Fremdgefährdung betrifft, gab es von der Polizei eine klare Aussage: Der Brand wurde nicht vorsetzlich gelegt. Die Ermittler fanden heraus, dass ein technischer Defekt den Brand ausgelöst hatte.
Kommentar: Erst denken, dann hetzen: Wie aus Helfern Opfer werden
Der Umgang mit dem Fall des Toten macht sprachlos und zeigt, wie blind Hetze im Netz funktioniert. Ohne nachzudenken oder nachzufragen, wird einfach draufgehauen. Draufgehauen auf Menschen, die eben nicht weggeschaut haben. Wenn jeder so handeln würde, wie die Nachbarn an der Schulstraße oder die Gemeinde es getan haben, wäre der Allgemeinheit wohl geholfen. Da werden ohne Rücksicht auf Verluste Vorwürfe in den Raum gestellt, die beleidigen. Die tief ins Herz gehen. Sie haben geholfen, immer wieder. Und sie quält die Frage, was sie hätten anders machen können. Da möchte man laut rufen: „Schämt euch und macht es besser!“ Fälle wie dieser machen sprachlos. Es sind menschliche Tragödien, Einzelschicksale. Die Ohnmacht, dieses Unglück nicht verhindern zu können, darf nicht in Wut umschlagen. Viel mehr gehört es sich, vor den Helfern den Hut zu ziehen. Sie in den Arm zu nehmen, zu trösten, hinter ihnen zu stehen. Denn das, was sie getan haben, war groß. Sie sind den unbequemen Weg gegangen und haben nicht weggesehen. Das verdient größten Respekt und tiefe Anerkennung.