Rönsahl. „Stopp! Lassen Sie mich in Ruhe!“, schallt es aus vielen Kinderkehlen. Der Schrei geht durch Mark und Bein, denn er dient der Selbstverteidigung. Am Freitagmorgen, 2. Mai, üben Viertklässler der Servatius-Grundschule in Kierspe-Rönsahl in ihrer Sporthalle, wie sie sich gegen Angreifer wehren können. Das zeigt ihnen der Trainer Luka Wojewoda (29) mit Wing Tsun Self Defence. Wie die Lehrerin Bärbel Weber erläutert, passt Gewaltprävention ins Schulkonzept der Servatius-Grundschule. Der Kurs sei durch die Anregung und finanzielle Unterstützung des Fördervereins zustandegekommen.
Dass der Wing Tsun Sport mehr ist als Selbstverteidigung, erfahren die Kinder von ihren Mitschülern Isabel, Louis und Samuel, die in Wipperfürth trainieren. Samuel sagt: „Das hat auch mit Achtsamkeit zu tun.“ Louis erklärt: „Das heißt, man muss aufpassen.“ Isabel fügt hinzu: „Man muss bei sich selbst aufpassen, sich also konzentrieren. Und man muss aufpassen, was der andere macht, der einen angreift.“
Trainer Luka Wojweda unterstützt die Theorie mit praktischen Übungen. Diese haben mit Körperhaltung, Bein- und Armstellung zu tun und dienen unterschiedlichen Zwecken. So nennt er zum Beispiel die tiefe Hocke „Konzentrationsstellung“. Mit geschickten Fragen bringt er die Kinder zum Nachdenken darüber, welche Arten von Angriffen es gibt und auf welche verschiedenen Arten man damit umgehen kann. Schnell kommen die Viertklässler zu dem Schluss, dass auch das eigene Verhalten dazu beitragen kann, Gewalt zu vermeiden: „Man darf sich nicht provozieren lassen. Ruhig bleiben!“ Als Lehrerin kennt Bärbel Weber ihre Schüler gut. Sie schmunzelt: „Das hat der Schüler gesagt, der oft in Eskalationen gerät.“
Luka Wojwoda spricht mit den Kindern darüber, wie schwierig es sein kann, sich nicht von der Aggression eines Angreifers anstecken zu lassen: „Wir müssen für uns selbst stark sein. Unser starkes Inneres strahlt nach außen. Und unsere Ausstrahlung sollte stärker sein als die Einstrahlung, die uns von außen beeinflussen soll.“ Er leitet die Kinder an, wie sie übergriffige Fremde abwehren können: Mit festem Blick bewegen sie sich rückwärts, schauen dem fremden Erwachsnen in die Augen und schreien: „Stopp! Gehen Sie weg!“. Die so genannte Schwertstellung, locker vor Kinn und Hals gekreuzte Arme mit flach ausgestreckten Händen, erlaubt das schnelle Wegschlagen zugreifender Hände.

Bärbel Weber findet es als Lehrerin interessant, dass die Jungs lauter schreien als die Mädchen. Dafür springen die Mädchen fix weg. „Offenbar sind Mädchen auch heute immer noch eher als Jungen darin geübt, Konfrontation aus dem Weg zu gehen“, reflektiert Weber. Nicht alle Jungen weichen zurück. Einige gehen dem Angreifer sogar entgegen. Trainer Luka Wojewoda spricht das an: „Was passiert, wenn wir nicht zurück, sondern nach vorne gehen?“ – „Der Angreifer fühlt sich provoziert, es kommt zum Kampf, besser sollte man zurückweichen“, sind sich die Schüler einig. Dass es trotzdem nicht allen gelingt, sich im Eifer des Übungsgefechts an diese weise Regel zu halten, hält Wojewoda für normal: „Das kann man üben.“ Wichtig sei es, sich klarzumachen, was in einem selbst vorgehe.
Mit dem Wutverhalten der Eltern spricht Trainer Wojewoda einen wichtigen Aspekt an, der die Aggression und das Gewaltverhalten von Kindern beeinflusst. „Deine Eltern regen sich zum Beispiel beim Autofahren auf“, sagt er. Die Viertklässler nicken und finden die Idee toll, den eigenen Eltern das im Wing Tsu-Kurs Gelernte beizubringen. „Aber das geht nur, wenn Mama und Papa sich ein bisschen beruhigt haben“, gibt ein Schüler zu bedenken. Alle lachen.
Für einige Zeit üben die Servatiusschüler, mit Schubsereien umzugehen. Die frühzeitige Abwehr erfordert gute Koordination: Die Schüler müssen fest stehen, die Arme des Angreifers von unten wegdrücken und dann von oben packen und dabei „Stopp!“ schreien. Dann müssen sie die Arme des Angreifers loslassen und ihn an seinen Schultern wegstoßen, wobei sie „Lass mich in Ruhe!“ rufen. Wieder und wieder üben die Kinder in wechselnden Rollen Angriff und Abwehr. Am Ende finden sogar die Schüchternsten ihre Stimme. Die Schüler und ihre Lehrerin danken Trainer Wojewoda und verabschieden sich.













