Ein junges Paar sitzt an diesem Sommertag in einem Büro des Lüdenscheider Kreishauses. Etwas nervös und doch in sich ruhend. Voller Freude. Einen langen Weg gingen sie bis hierher. Und nun sind sie auf der Zielgeraden. Sie heißen Jonas und Sarah und werden Eltern. Irgendwann. Eltern von einem Kind, das dann dringend welche brauchen wird. Zuhause ist schon alles vorbereitet.

Das Kinderzimmer, im Haus mit Garten und Hühnern, ist liebevoll eingerichtet. Im selben Büro sitzen auch Sarah Wimmer vom Haus St. Josef und Katharina Jeibmann vom Kreisjugendamt. Die beiden begleiten das junge Paar auf seiner Reise zum Kind. Heute lassen sie uns daran teilhaben. Denn es soll und dürfe kein Tabuthema sein, ein Kind aufzunehmen. Jonas und Sarah möchten es offen sagen und zeigen. Sichtbar machen. Und auch fühlbar.
Die Vorfreude auf den kleinen Menschen, der ihr Leben auf den Kopf stellen soll, ist groß. Auch groß waren vorab die Sorgen von Familien und Freunden. Aus Unwissen heraus. Das Paar wusste zunächst selbst gar nicht viel über Adoptionen, Pflegefamilien und die verschiedenen Möglichkeiten, ein Zuhause zu schenken.
Auf natürlichem Wege konnten die beiden keine eigenen Kinder bekommen. Doch Eltern werden, das wollten sie dennoch unbedingt. „Der Wunsch war immer da“, sagt Sarah. Ihre Familie kommt aus Serbien. „Wir wollten daher einem Kind von dort die Chance auf ein Leben mit einer guten medizinischen Versorgung bieten.“ Und so saßen die beiden irgendwann im Kurs von Sarah Wimmer im Haus St. Josef. Erstmals wurden hier – in Kooperation mit der Stadt Lüdenscheid und dem Märkischen Kreis – Familien zu Pflegeeltern ausgebildet. Denn egal ob (Auslands)-Adoption, Dauer- oder Bereitschaftspflege; hier sitzen alle zunächst im selben Kurs.
„Wir wussten einfach, das ist es.“
Und nach einer der Stunden schauten sich Sarah und Jonas auf der Rückfahrt im Auto an und wussten, dass sie auf ihrem Weg zum Kind nochmal abbiegen müssen. Sie entschieden sich gegen die Auslandsadoption und für die Dauerpflege. Das sei quasi eine „Adoption light“, sagt Jonas. „Wir wussten einfach, das ist es.“ Das Kind, das sie aufnehmen werden, wird dauerhaft bei dem Ehepaar bleiben.
Ziemlich schnell saßen dann Sarah Wimmer und Katharina Jeibmann auf ihrem Sofa. Sie lächeln bei dem Gedanken daran, wie zügig ihre Reise zum Kind nach dem intuitiven Richtungswechsel Fahrt aufnahm. Das Jugendamt verschafft sich zunächst einen Eindruck von der Lebenssituation der potentiellen Pflegefamilien. Hausbesuche. Gespräche. Ehrliche Worte. Denn auch wenn die Vorfreude im Vordergrund steht, die rosarote Brille sollten die Kandidaten für die Entscheidung absetzen.

Auch im Kurs konfrontierte Wimmer die Paare mit echten Beispielen. Sie zeigen, dass manche kleine Menschen mit derart schweren Rucksäcken kommen, die nur ganz allmählich leichter, womöglich aber nie federleicht werden. „Ja, das waren schon heftige Beispiele“, sagt Sarah. Aber abschreckend waren sie nicht. Sie sei dankbar für die ehrliche, gute Vorbereitung. Romantisiert wird nichts. Doch muss es natürlich auch nicht so kommen. Jedes Kind, jedes Schicksal, jeder Verlauf ist anders und unvorhersehbar.
Märkischer Kreis sucht dringend Pflegefamilien
Rund 150 Kinder sind aktuell kreisweit in Dauer-Pflegefamilien untergebracht; sie bleiben dort mindestens bis zur Volljährigkeit. Für seine aktuelle Kampagne (LokalDirekt berichtete) ließ der Märkische Kreis Kinder bunte Bilder zum Thema „Zuhause“ malen. Als Lesezeichen und Plakate liegen die Zeichnungen nun überall aus, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn: Es werden dringend mehr Pflegefamilien gesucht. Für die Dauerpflege, aber ganz besonders für die Bereitschaftspflege. „In beiden Bereichen mangelt es an Familien“, sagt Jeibmann.
Gerade die Bereitschaftspflege sei alternativlos. Diese Menschen sind Weichensteller. Sie sind da, wenn die Not groß und akut ist. Der Anruf kann zu jeder Zeit kommen. Es kann ein Säugling sein oder maximal ein etwa drei Jahre altes Kind. Meist kommen die Kinder nur mit dem, was sie am Leib tragen, erzählt Katharina Jeibmann. Manche Kinder müssen zum Arzt, um ein Gutachten erstellen zu lassen.
Vielleicht gibt es Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern. Vielleicht bleibt es nur ein paar Tage, ein paar Wochen. Aber definitiv ist sein Aufenthalt begrenzt. So kurz wie möglich eben. Das sei auch eine Nähe-Distanz-Geschichte. Einen Säugling oder ein Kleinkind so nah bei sich zu haben, da zu sein und das Kind dann aber auch wieder gehen lassen zu können. Man müsse das können.
Warten auf den einen Anruf
Und das ist dann der Moment, in dem Familien wie Jonas und Sarah auf die Bereitschaftspflegeeltern treffen. Das Paar absolvierte den Kurs im Haus St. Josef, alle Gespräche und Vorbereitungen sind gelaufen. Nun warten sie auf diesen einen Anruf. Eine aufregende Zeit für das Paar – und doch versuchen sie, sich nicht darauf zu versteifen. „Wir leben unser Leben ganz normal weiter. Ich lenke mich gerne mit Gartenarbeit ab“, erzählt Jonas.
Und wenn der Anruf kommt, dann gibt das Jugendamt erstmal nur Fakten durch. Das Alter des Kindes, den Hintergrund. Aber niemals ein Foto. Denn dann bestehe die Gefahr, die rosarote Brille aufzusetzen. Passen die Rahmenbedingungen, treffen die potentiellen Dauerpflege- auf die Bereitschaftspflegeeltern. Sie lernen das Kind kennen. Jeder kann schauen, ob es passt. „Und es kann auch durchaus sein, dass die Chemie einfach nicht stimmt“, erzählt Jeibmann aus ihrer Praxis. Das sei dann völlig in Ordnung. Denn oberste Priorität habe immer eine dauerhafte Lösung.

Und wenn dann alles passt und auch das Bauchgefühl auf allen Seiten stimmt, dann haben die Kinder eine neue Familie gefunden, in der sie bleiben können. Aus den Kursteilnehmern werden Eltern. Wann dies geschieht, das entscheiden die Kinder. Sie sendeten deutliche Signale, wenn der Moment gekommen ist, von der einen, in die andere Familie umzuziehen. Die Bereitschaftspflegeeltern haben aber durchaus die Chance, auf dem Laufenden zu bleiben und vielleicht Bilder von der Entwicklung ihrer einstigen Schützlinge zu bekommen. „Sie sind ja auch ein Teil der Biografie des Kindes“, erzählt Katharina Jeibmann.
Vorfreude auf das neue Familienmitglied
Die Familien und Freunde von Jonas und Sarah fiebern inzwischen gemeinsam mit dem Paar dem neuen Familienmitglied entgegen. Anfängliche Zweifel sind verflogen. „Alle freuen sich mit uns und es tut gut darüber zu reden“, sagt Jonas. Und er möchte auch andere Paare ermutigen, sich mit dem Thema zu befassen. Auch wenn es noch ein ganz leiser Gedanke sei.
„Traut euch“, sagt auch Sarah. Denn der Pflegeeltern-Kurs im Haus St. Josef sei unverbindlich. Sarah Wimmer nickt und berichtet von bewegenden Momenten, während der Kursstunden. Neun Paare kamen dort zusammen, die auf verschiedenen Wegen ihre Reise zum Kind antraten. Jeder bringe viel Privates in die Runde ein. Sie habe eine große Offenheit erlebt und das sei sehr bereichernd für alle Beteiligten gewesen. „Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
„Manche Kinder haben einen sehr schweren Rucksack dabei“
Auch Katharina Jeibmann erlebt bei ihrer Arbeit für das Kreisjugendamt immer wieder bewegende Momente. Es gebe Kinder, die Dinge erlebt haben, dass das Konzept Familie für sie nicht mehr funktioniere. „Manche Kinder haben einen sehr schweren Rucksack dabei. Oft wissen wir nicht, welche Art von Steinen sich darin befinden“, sagt sie. Und Jonas ergänzt: „Zumindest können wir unsere Hand unter den Rucksack halten, ihn etwas leichter machen.“
Umso schöner ist es für Jeibmann, wenn sie Kinder erfolgreich in Dauerpflegefamilien vermittelt kann. Sie stünde anfangs in sehr engem Kontakt, der aber bis zum 21. Geburtstag des Kindes aufrecht erhalten bleibt. Sie werde man nicht mehr los. „Wenn ich sehe, wie die Kinder aufblühen, aufholen und welche Fortschritte sie machen, dann geht mir das Herz auf.“ Sie sei ein kleiner Teil im Leben dieser Menschen und das sei sehr schön und bewegend.
Jonas und Sarah warten nun so entspannt es ihnen möglich ist auf den großen Moment, in dem das Telefon klingelt. Auf den Moment, wenn Katharina Jeibmann ihnen vielleicht ihr zukünftiges Kind vorstellen wird. Und dann geht die Reise eigentlich erst richtig los.
Steckbrief für die Voraussetzungen zur Bereitschaftspflege
- Es sollte kein großer Kinderwunsch bestehen.
- Viele Bereitschaftspflegeeltern haben bereits eigene Kinder und haben noch Platz im Herzen und Haus.
- Sie sind wichtige Weichensteller und begleiten das Kind zwischen wenigen Tagen bis hin zu einigen Monaten.
- Sie müssen Zeit investieren für Arztbesuche, Umgangskontakte und um das Kind zu versorgen.
- Die Kinder sollen so kurz wie möglich bleiben.
Paare und Familien, die sich rund um das Thema „Pflegeeltern“ informieren und beraten lassen möchten, können sich an Katharina Jeibmann ([email protected]) oder an Sarah Wimmer ([email protected]) wenden.
