Deutschlands wohl bekanntester Literaturkritiker war Dienstagabend Gast der „Literaturtage“. Die Stadtbücherei und die Buchhandlung Schmitz als Veranstalter hatten mit dem Übersetzer, Moderator der TV-Sendungen „Lesenswert“ im SWR und „Druckfrisch“ in der ARD und Autor jedenfalls eine gute Wahl getroffen.
Locker plaudernd erzählte er, wie er zum Lesen kam, sich als kleiner Junge in Science-Fiction, Phantasy- und Horrorgeschichten verliebte, wie andere in Fußball. Und weil die deutschen Übersetzungen im Vergleich zum englischen Original deutlich gekürzt waren, „war klar, man musste Englisch lernen.“ So betätigte er sich bereits mit 13 als Literaturagent und Übersetzer, bot dem „Playboy“ ein Interview mit dem Kunta-Kinte-Autor Alex Haley an, schaffte es, für die Übersetzung extra Kasse zu machen. Das noch bevor er in Stuttgart zu einem Stammtisch von Literaturagenten stieß und schnell erkannte: „In dem Kreis hab ich meine Familie gefunden“.
Damit konnte er dem Stiefvater entkommen, der ihn als „Stallknecht“ für seinen Pferdehof einspannen wollte. Zugute kam ihm auch, dass er als Ehrenstipendiat das neue Haus für Schriftsteller in Stuttgart beziehen konnte, zumal es noch keinen geeigneten Kandidaten gab. Das Refugium, inklusive Weinkeller, machte ihn zum geschätzten Kommilitonen.
Altes Kino in neuer Funktion
Später zog er nach Köln. Marcel Reich-Ranicki, grantelnder Literaturpapst, hatte sich gerade in den Ruhestand verabschiedet, als die ARD Denis Scheck die neue Literatur-Sendung anbot, die er prägte. Zwischendurch liest er aus seiner „Bestsellerbibel“ Essays, macht deutlich, dass Lesen ein stetiges Ringen um die Standardeinstellung sei, Anstoß, Haltungen infrage zu stellen, zu überprüfen, den Horizont zu erweitern. Das dürfen gerne auch Comics sein, wie er auf Nachfrage von Moderation Kirsten von Hagen klar stellt.
Und wie bringt man Kinder dazu zu lesen? – Indem man ein Kind mit Buch in der Hand ohrfeigt und ihm für den Fall des Weiterlesens weitere Konsequenzen androht. Scheck macht eine Anleihe bei der „schwarzen Pädagogik“, meint aber, so erziehe man zum Lesen.
Was soll man lesen? Vor allem Bücher, die jemand geschrieben hat, die oder der anderen Geschlechts ist als man selbst, mehr ausländische als inländische Autoren, mehr aus anderen Zeiten als dem Jetzt. Ergo: „Den Komfortraum verlassen“, nichts lesen, was einem vermeintlich recht gibt. „Suchen sie Widerstand, gehen sie hin, wo es weh tut.“, rät er.
Was empfiehlt er? Christoph Ransmayers „Egal wohin, Baby.“ Das sei Nobelpreis-verdächtig, meint er auf die Frage aus dem Publikum.
Zwischendurch kokettiert der Literaturpapst mit seiner Familiengeschichte, mit der Oma, die Köchin bei Theodor Heuss war, dem ersten Bundespräsidenten, oder damit, dass er dem großen Muhammed Ali, d e m Boxweltmeister schlechthin, mal die Hand schütteln durfte. – Ge-Schenck(t).
Ein unterhaltsamer Gast in angenehmem Ambiente. Das alte Kino bot bessere Sicht auf den Akteur. Es bietet sich auch für künftige Lesungen an. Dass jemand die Briefe gefunden hat oder findet, mit denen Kafka im Park in Berlin Steglitz versucht hatte, ein kleines Mädchen über den Verlust ihrer Puppe hinweg zu trösten, ist eher unwahrscheinlich. Ein bereichernder Abend war es auch so.