Straßen.NRW hat es endgültig geschafft: Der letzte Funke Vertrauen ist erloschen. Brückenbaumeister Anastasios Topsinoglou ist der arme Mann, der es am Montag auf der Baustelle aushalten muss – dabei kann er vermutlich genauso wenig dazu wie die heimischen Politiker. „Ich weiß, Sie haben alle kein Vertrauen mehr“, sagte er zu Ordnungsamtsleiter Sebastian Putz. Und dennoch wird er nicht müde, zu betonen, dass er fest daran glaubt, den Pfeiler in Stand setzen zu können. Er ist freundlich und bemüht, erntet jedoch mehr als einen aggressiven Kommentar. Die orange Jacke mit dem Straßen.NRW-Schriftzug macht ihn zum Buhmann. Den Reaktionen der Bürger sollten sich jedoch eigentlich ganz andere stellen, nämlich die, die es wirklich einmal mehr verbockt haben. Die, die dringend von ihrem hohen Ross absteigen müssen.
Auch vier Tage später ist es noch absolut unverständlich, wie es sein kann, dass ein Landesbetrieb nicht den Telefonhörer in die Hand nimmt und die Bürgermeisterin selbst informiert. Wie kann es sein, dass der Kreisbrandmeister die Informationen weitergeben muss und wie kann es sein, dass die Verwaltung lediglich im CC einer E-Mail an alle Bürgermeister der Region ist. Hinzu kommt, dass die Nachricht kurz vor Feierabend kam. Reine Taktik?
Das Verhalten von Straßen.NRW macht wütend – und zugegebener Maßen auch sprachlos. Es ist natürlich so, dass den Nachrodt-Wiblingwerdern völlig egal ist, ob es ein Belastungs- oder Hochwasserschaden ist. Ein Hochwasserschaden spricht natürlich auch für sich. Denn wenn wir mal ehrlich sind: Das Weihnachtshochwasser war ein ganz normales Hochwasser, wie es immer wieder an der Lenne vorkommt. Noch ungeheuerlicher wird das Ganze, wenn kritische Nachfragen kommen.
Freitags wird gesagt, dass eine Sperrung von ein bis zwei Wochen erwartet wird. Am Sonntag beim Besuch von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer ist ganz selbstverständlich die Rede von mindestens drei Wochen. Warum eine Woche mehr? Das ist halt so – fertig. Die Nachfrage beim Gespräch mit dem Minister wird einfach übergangen. Auch die Nachfrage, ob die Verwaltung denn jetzt mal einen Notfallkontakt bekommt, wird scharf abgebügelt. „Das ist jetzt hier nicht wichtig.“ NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer macht deutlich: Dieses Thema bespricht er nicht. Natürlich fällt das den Nachrodt-Wiblingwerdern auf. Das Thema ist sensibel, da hören alle ganz genau hin und die vielen Versäumnisse des Landesbetriebs in der Umgebung sorgen eben für dieses genaue Hinhören.
Die Tatsache, dass bisher lediglich ein Pfeiler untersucht wurde, wird ebenfalls einfach nicht erwähnt. Niemand weiß, wie die anderen aussehen. Sprich, niemand kann eine Prognose abgeben, ob es mit dem Pfeiler jetzt getan ist. Die Strömung ist im Bereich der anderen Pfeiler noch deutlich tückischer – was übrigens der Grund dafür ist, warum die Pfeiler noch nicht untersucht wurden.
Die Frage, wo Straßen.NRW am Wochenende war, wurde und wird oft gestellt. Andreas Berg, Pressesprecher des Landesbetriebs, gab an, am Freitag selbst bis 20 Uhr gearbeitet zu haben. Die Frage ist allerdings wo. Denn Presseanfragen – zumindest unsere und auch die Kollegen berichten ähnliches – hat er nicht beantwortet. Weder telefonisch, noch via E-Mail. Und mal ganz ehrlich: 20 Uhr? Da fing der Abend für das THW, die Feuerwehr und die Verwaltung gerade einmal an. Für die Uhrzeit bekommt er aus Nachrodt-Wiblingwerde wahrlich keinen Fleiß-Orden. Auch am Samstag sei ganztägig ein Mitarbeiter vor Ort gewesen. Der habe sogar Fotos geschickt. Auf explizite Nachfrage kam: „Der war privat da, deswegen keine orange Jacke.“ Ok, also war doch niemand offiziell da? Die Frage bleibt unbeantwortet. Die Fotos, die eigentlich als Beweis erwähnt werden sollten, dass ein Mitarbeiter vor Ort war, machen die ignorante Haltung von Straßen.NRW nur noch deutlicher.
Es gibt also bei Straßen.NRW Fotos, auf denen zu sehen ist, dass mehr als 250 Ehrenamtler aus ganz NRW eine Brücke bauen. Sie schleppen schweres Gerät, arbeiten bis zur vollkommenen Erschöpfung. Freiwillig. Denn sie wissen: Montag müssen die Kinder zur Schule, Senioren zum Arzt und Arbeitnehmer zum Schichtbeginn und vor allem: die Feuerwehr braucht einen Rettungsweg. Denn auch die dürfen nicht über die Brücke. Jeder Mann wird gebraucht. Aber wo war Straßen.NRW? Wäre es nicht ein Zeichen gewesen, wenigstens eine kleine Mannschaft als Hilfe zu schicken? Oder vielleicht einen Bagger oder ähnliches? Allein das Angebot wäre schon ein Zeichen gewesen. Schließlich erledigen da andere die Arbeit, für die die Chefetage des Landesbetriebes durchaus dickes Geld einsackt. Ein Dank an die Helfer wäre auch gewiss ein Zeichen gewesen. Sind wir mal ehrlich: Ohne die hemdsärmelige und mutige Art von Bürgermeisterin und Kreisbrandmeister sowie dem unermüdlichen Einsatz von THW, Feuerwehr, Siggi Müller und DRK stünden die Nachrodt-Wiblingwerder heute ohne Brücke da.
Selbst am Sonntag versteckten sich die Mitarbeiter. Sie trafen offenbar am Vormittag ein. Verweilten im Bereich des Brückenpfeilers, ein Bereich, der nicht zugänglich ist. Sie sollen Teil der Runde mit dem Verkehrsminister sein. Doch wo waren sie? Das Treffen lief bereits eine ganze Weile. Erst nach dem Anruf des Ministers – der hat also einen Notfallkontakt – kam das Straßen.NRW-Trio. Sichtlich verunsichert und nervös berichtete Steffen Scholz von den gefundenen Schäden. Und danach? Waren sie wieder weg. Kein freundliches Wort an das THW oder sonst wen vor Ort. Selbst wenn es kein Danke über die Lippen schafft: Ein bisschen Anerkennung für das Ehrenamt hätte gewiss genügt. Das wäre einfach menschlich gewesen.
Am Montag nahm Straßen.NRW den Dienst auf und es kam noch dicker: Arbeitsmaterial wird einfach über die Brücke getragen. Ein kleiner Schnack mit Kaffee in der Hand ist auch drin – hinter der Absperrung. THW und Feuerwehr durften das nicht. Sie mussten das Boot nehmen oder den riesen Umweg fahren. Das kostete massig Zeit. Wenn die Brücke so massiv geschädigt ist, warum konnten dann die Männer in Orange gemütlich und ohne Sicherung darüber spazieren? Für die Nachrodter ist das verständlicher Weise nicht nachvollziehbar. Für THW und Feuerwehr fühlt sich das vermutlich gar nach Schikane an.

Die Tatsache, dass Straßen.NRW die Kosten für die Ponton-Brücke übernimmt, wäscht den Landesbetrieb keineswegs rein. Denn mit den Baukosten ist es nicht getan. Die Feuerwehr ist beispielsweise nicht darin enthalten. Allein für die Retter und die Einhaltung der Ziele aus dem Brandschutzbedarfsplan entstehen massive Kosten. Zwei bis drei Kollegen müssen nämlich immer auf der anderen Lenneseite sein.
Tagsüber sind das zwei Mitarbeiter der Verwaltung, die auch in der Feuerwehr sind. Nach Feierabend sind sie allerdings auf der anderen Lenneseite. Dafür kommen drei Feuerwehrmänner aus dem Nachrodter Süden am Abend wiederum heim auf die nördliche Seite: Sprich, die fünf, die die Versorgung hier gewährleisten, brauchen viel Equipment doppelt. Das am Amtshaus stationierte Fahrzeug des Katastrophenschutzes muss ebenfalls bestückt werden. Beispielsweise mit dem Atemschutz, den die Feuerwehrmänner in Nachrodt verwenden. Außerdem muss die Infrastuktur geschaffen werden, um das Fahrzeug mit Strom zu laden. Hohe Kosten, die der Gemeinde bisher niemand ersetzt. Der eh schon defizitäre Haushalt wird massiv und ungeplant strapaziert – und das durch eine Sache, auf die die Gemeinde keinerlei Einfluss hat oder hatte.
Die UWG hat Recht: Dieses Desaster muss für den Landesbetrieb Konsequenzen haben, nur dann ist es möglich, wieder Vertrauen zu fassen. Die Kommunikation muss transparent und offen sein. Wenn Fehler gemacht wurden, gilt es, diese zuzugeben und zu entschuldigen. Das wäre übrigens ein Zeichen wahrer Größe. Klein Nachrodt-Wiblingwerde darf nicht dominiert werden von der Arroganz und Ignoranz eines Landesbetriebs. Das Wochenende hat gezeigt: Nachrodt-Wiblingwerde kann das kleine gallische Dorf sein, das alles schafft – und der Druck auf den Landesbetrieb wird wachsen. Und das völlig zurecht.