Dieser Abschwung sei beispiellos, denn er ziehe sich durch alle Branchen, bilanzieren die drei IHK-Präsidenten Walter Viegener, Ralf Stoffels und Andreas Knappstein. Der IHK-Konjunkturklimaindex für Südwestfalen bricht ein: Während der Wert im Frühjahr bereits bei schwachen 92 Punkten lag, fällt er nun auf 78 Punkte. Die Sorge vor einer anhaltenden Rezession sei klar spürbar, so die IHK-Präsidenten. Die aktuelle Krise gehe zunehmend an die Substanz und könne langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität der Region haben. Fast jedes zweite Unternehmen berichtet demnach von einer problematischen Finanzlage, die insbesondere durch einen zunehmenden Eigenkapitalrückgang und vermehrte Liquiditätsengpässe verdeutlicht werde.
Nur noch 16 Prozent der Betriebe bewerten die Geschäftslage als gut, während mittlerweile 37 Prozent eine schlechte Lage melden. In den vergangenen 15 Jahren beurteilten die südwestfälischen Unternehmen ihre Lage nur zu Beginn der Coronapandemie negativer. Und auch der Blick in die Zukunft fällt düster aus: Der Saldo aus positiven und negativen Erwartungen fällt auf -22 Punkte. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Als Konsequenz halten sich die südwestfälischen Unternehmen sowohl bei den geplanten Investitionen als auch bei den Einstellungsabsichten zurück. „Wir befinden uns nicht nur in einem konjunkturellen Abschwung, sondern mitten in einer ernsten Strukturkrise. Die Betriebe in unserer Region müssen ohnehin alle Kräfte bündeln, um die Transformation zu mehr Klimaneutralität und Digitalisierung zu bewältigen. Die sinkende Nachfrage, steigende Arbeitskosten und wachstumshemmende wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen erhöhen den Druck gewaltig. Eine toxische Gemengelage. Die Resilienz der Unternehmen stößt an ihre Grenze“, verdeutlicht Walter Viegener, Präsident der IHK Siegen. „In der Folge schwindet das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Standortes immer weiter und dringend notwendige Zukunftsinvestitionen werden zurückgestellt. So ist ein Umkehrschub aus dem Negativstrudel kaum möglich. Die Region büßt auf breiter Basis ihre Wettbewerbsfähigkeit ein.”
Besorgniserregend sei vor allem das Stimmungsbild in der heimischen Industrie, deren Situation unter allen Wirtschaftszweigen die schlechteste ist. Lediglich elf Prozent der Betriebe geben eine gute Geschäftslage an, während 46 Prozent ihre Lage als schlecht bezeichnen. Ralf Stoffels, Präsident der SIHK zu Hagen: „Südwestfalen als Herzkammer der nordrhein-westfälischen Industrie droht ein Ausbluten. Die Rahmenbedingungen mit einer maroden Infrastruktur und einer erdrückenden Bürokratie machen das Wirtschaften hier am Standort immer unattraktiver. Dabei sind die mangelnde langfristige Versorgungssicherheit, im internationalen Vergleich viel zu hohe Energiekosten sowie Unsicherheiten beim Netzausbau die Hauptgründe für die spürbare Investitionszurückhaltung und sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Mehr als jeder fünfte Industriebetrieb denkt ernsthaft über Standort- oder Teilverlagerungen nach. Die Folgen wären ein unumkehrbarer Verlust von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen für die Region. Von der Politik braucht es nun dringend Stabilität, gezielte Impulse und verlässliche Rahmenbedingungen, um eine Deindustrialisierung zu verhindern.“
Das Baugewerbe berichtet noch von überwiegend guten Geschäften. Die Lagebeurteilung ist so positiv wie in keinem anderen Wirtschaftszweig, dennoch belasten die Betriebe die hohen Energiepreise, nahezu unüberblickbare Vorschriften und Auflagen sowie die überbordende Bürokratie.
Die übrigen Branchen haben mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen. Sie schauen mit großer Sorge auf die Entwicklungen in der Industrie. „Die Industrie ist die Schlüsselbranche der Region, auch für Händler und Dienstleister”, sagt Arnsbergs IHK-Präsident, Möbelhändler Andreas Knappstein. Den Einzel- und Großhandel belastet vor allem die anhaltende Kaufzurückhaltung. Andreas Knappstein: „Von den wieder gestiegenen Realeinkommen kann der Handel kaum profitieren. Denn auch die Verbraucher sind verunsichert; sie halten sich beim Konsum zurück und sparen lieber.” 36 Prozent der Händler erwarten nachlassende Geschäfte. Der produktionsnahe Großhandel spürt zudem unmittelbar die schwierige Situation der Industrie.
In den Dienstleistungsbranchen bleibt die Lagebeurteilung insgesamt auf einem neutralen Niveau. Eine besondere Herausforderung ist hier der Fachkräftemangel: Zwei Drittel sehen darin eine Gefährdung der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei den unternehmensnahen Dienstleistern hat sich zudem die Finanzlage verschlechtert.
Das gilt auch für die Lagebewertung im Verkehrsgewerbe. Allerdings stellt sich hier die finanzielle Situation der Betriebe in großen Teilen robust dar: 63 Prozent melden eine unproblematische Finanzlage. Das Gastgewerbe bewertet die eigene Lage mehrheitlich als schlecht. Dort ist es weniger die Nachfrage, die den Betrieben zu schaffen macht, sondern die steigenden Kosten und die fehlenden Fach- und Arbeitskräfte. „Die Inflation sowie die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel und Energie belasten die Unternehmen massiv. In keiner anderen Branche ist die Finanzlage so dramatisch wie im Gastgewerbe”, betont Andreas Knappstein. In großen Teilen wurden die finanziellen Reserven in den letzten Jahren bereits aufgebraucht. Jeder weitere Umsatzrückgang trifft die Betriebe hart und geht spürbar an die finanzielle Substanz. Wir sprechen hier nicht von Verlagerungen oder Anpassungen, sondern tatsächlich von drohenden Schließungen.“
Wie ein roter Faden zieht sich die Belastung durch zu viel Bürokratie über alle Branchen hinweg. Der Frust darüber steigt stetig und ist ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung bei den Investitionen. Politische Kursänderungen dürfen jetzt nicht weiter aufgeschoben werden. Es benötige dringend verlässliche und wirtschaftsfördernde Richtungsentscheidungen: Weniger Regulierung, geringere Energiepreise sowie eine intakte Verkehrsinfrastruktur, sonst werde der nächste Aufschwung an Südwestfalen vorbeiziehen, betonen die drei IHK-Präsidenten Walter Viegener, Ralf Stoffels und Andreas Knappstein. Viele Unternehmen zehrten bereits an ihren finanziellen Reserven. In dieser Phase sei es ein großer Segen, dass die Region auf einen starken, zumeist inhabergeführten Mittelstand bauen kann. Für dessen Erhalt müsse alles getan werden.