Immer wieder kommt kurz vor Silvester die Aufforderung, private Silvesterknallerein zu verbieten. Zu teuer, zu gefährlich, Tiere haben Angst. Die Idee wird immer wieder abgewiegelt denn "es ist ja nur einmal im Jahr". Aber dieses eine Mal kann die Hand kosten, bei vom Krieg traumatisierten Menschen furchtbare Erinnerungen wecken und Wild- und Haustiere in Panik versetzen. Ein Pferd, dem die Knallerei im letzten Jahr besonders zu schaffen gemacht hat, wendet sich jetzt — über seine Besitzerin — an alle, die das neue Jahr unbedingt mit viel Lärm begrüßen möchten.

Wenn Therapiepferde vor Angst krank werden

"Ich bin Bert", so stellt sich das Dülmener Wildpferd in einem Brief vor, den die Sozialpädagogin und Reittherapeutin Anna Trier in der Nachbarschaft verteilt hat. Er lebt mit elf weiteren Pferden, Katzen, Kaninchen und einem Hund auf dem Hof Wengeberg. Dort genießt er sein Leben und die Arbeit mit therapiebedürftigen Menschen, denen er und seine vierbeinigen Freunde mit ihrer Ruhe und Gelassenheit helfen können, mit dem Leben besser zurechtzukommen.

Bert schaut hoffnungsvoll auf eine ruhigere Silvesternacht als im letzten Jahr.
Foto: privat | Anna Trier

In seinem Brief heißt es aber auch: "Einmal im Jahr verwandelt sich mein Zuhause in einen Ort voller Angst: Silvester." Im letzten Jahr hatte Bert so große Panik, dass er fast an einer dadurch entstandenen Kolik gestorben wäre. Zum Glück war der Tierarzt noch in der Nacht zur Stelle. Schmerzen für Bert, Stress und Angst und nicht zuletzt eine dicke Tierarztrechnung für Anna und Raphael Trier waren die Folge. Bert konnte gerettet werden, aber die Angst, die bleibt.

Dauerböllerei ist ein großes Problem

Die zentrale Lage, in der sich der Hof Wengeberg befindet und die für den Betrieb des Therapiehofes wichtig ist, stellt in der Silvesternacht ein großes Problem dar. Es ist der konzentrierte Beschuss von allen Seiten, der den Tieren auf Hof Wengeberg zu schaffen macht.

"Beim Kirmesfeuerwerk, das unten in der Stadt abgefeuert wird, schauen sie zu und trotten wieder weg, wenn es vorbei ist. Aber das ist ja auch nur ein kurzer Moment, verglichen mit dem stundenlangen Knallen in der Silvesternacht", erklärt Anna Trier den Unterschied. "Es wäre ja noch okay, wenn die ersten Kracher um Mitternacht gezündet würden und der Spuk eine halbe Stunde später vorbei wäre. Aber es fängt oft schon am Nachmittag an und zieht sich durch die ganze Nacht. Manche heben sich ja sogar noch Raketen und Böller auf, die sie in den Tagen nach dem 1. Januar abschießen", sagt sie weiter.

Anna und Raphael Trier erklären die Silvester-Problematik, die sich aus der Lage des Hofes ergibt.
Video: Gerdel

Die Tatsache, dass sich das Knallen der Böller teilweise über Tage hinzieht, hat das Ehepaar auch dazu veranlasst, die Therapieeinrichtung erst mit Ende der Ferien wieder zu eröffnen. "Es ist einfach zu gefährlich, wenn die Pferde, die durch die für sie qualvolle Silversternacht hochsensibilisiert sind, dann durch einen Nachzügler-Knall wieder erschrecken."

Feuerwerkskörper im Paddock

Bert erklärt es in seinem Brief aus seiner Sicht: "Die Geräusche kommen von oben, von unten, von allen Seiten. Letztes Jahr sind sogar Feuerwerkskörper auf unser Stalldach und in den Paddock gefallen. Mitten in der Nacht! Unsere Menschen sind immer bei uns. Sie tun alles, um uns zu schützen. Aber gegen diese Angst kommen selbst sie nicht an. Meine Herde und alle anderen Tiere zittern, rennen, pressen sich aneinander — wir verstehen nicht, warum plötzlich die Welt explodiert! Für Euch ist es ein Moment — für uns ist es eine ganze Nacht voll purer Todesangst."

Das eigentlich so sanfte und unerschrockene Therapiepferd bittet daher: "Nehmt Rücksicht, kauft weniger Böller, spendet das Geld lieber für den Tierschutz, stoßt mit Wunderkerzen und einem Glas Sekt statt mit Lärm auf das neue Jahr an."

Eine Bitte — kein Versuch einer Bevormundung

Anna und Raphael Trier betonen, dass sie keine absoluten Gegner eines Silvesterfeuerwerks sind. Alles, worum sie bitten, ist, Rücksicht auf die Tiere zu nehmen. Die Raketen nicht in Richtung des Pferdehofes zu schießen und die Dauer der Knallerei einzuschränken.

"Gut gemeinte Ratschläge, wie vorher mit den Pferden zu üben, damit sie sich an die Feuerwerksraketen gewöhnen, funktionieren ja nicht", erläutert Raphael Trier. "Erstens ist ja verboten, außer in der Silvesternacht Raketen zu zünden, und zweitens könnten wir das gar nicht in der Menge tun, die Silvester auf unseren Hof einprasselt." Auch die Idee, die Pferde festzuhalten ist nicht durchführbar: "Erstens sind die Tiere dafür sowieso zu stark und zum anderen können wir das bei zwölf verängstigten Pferden unmöglich schaffen."

Vorbeugende Maßnahmen getroffen

Schon im Vorfeld der Silvesternacht machen sich die beiden Therapeuten viele Gedanken darüber, was alles passieren könnte. So liegt ein Haufen Sand bereit, um die festgetretenen Flächen auf dem Hof abzustreuen, falls es glatt werden sollte. "Sonst laufen unsere Pferde Gefahr, sich bei einer eventuellen Flucht die Beine zu brechen." Auch die Zäune in Richtung Straße sind mehrfach gesichert, damit kein Pferd in Panik auf die Straße rennen kann. Außerdem bekommen einige der Pferde in diesem Jahr vorsorglich ein Beruhigungsmittel, in der Hoffnung, dass die Angst nicht zu groß wird.

Anna und Raphael Trier und alle Patienten, denen die Pferde auf dem Therapiehof helfen, hoffen, dass es in diesem Jahr nicht wieder zu einem solchen Schreckenszenario kommt, wie beim letzten Jahreswechsel — und dass das Jahr 2026 für die Menschen auf dem Hof ruhiger und für die Tiere ohne Todesangst beginnen wird.