Vor gut acht Jahren begann im Iserlohner Ortsteil Letmathe ein wohl deutschlandweit einzigartiges Inklusions-Projekt. Im denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude aus preußisch-wilhelminischer Zeit, erbaut 1865, zogen im April 2015 Menschen mit verschiedenen Behinderungen ein. „Bahnsteig42“ ist seither eine Institution, die weit über die Grenzen der Waldstadt hinaus bekannt ist.

Das marode Bahnhofsgebäude war dem Verfall ausgesetzt, es sollte abgerissen werden. Ein Unding aus Sicht des ortsansässigen Architekten Manfred Kissing. Der hat ein Herz für historische Gebäude. Er kaufte kurzerhand den roten Bahnhof und renovierte ihn von Grund auf.
Schnell war das neue Nutzungskonzept gemeinsam mit der Diakonie Ruhr-Mark, dem Psychosozialen Trägerverein und den Iserlohner Werkstätten entwickelt. „Wir sind ein Außenarbeitsplatz der Iserlohner Werkstätten“, erklärt Pascal Wink. Der 46-jährige Mendener ist einer von drei Personen im Führungsteam.
Wohnung für Menschen mit Behinderung gesucht
Der psychosoziale Trägerverein suchte seinerzeit zentral gelegene Wohnungen für Menschen mit Behinderung. Diese Wohngruppen haben hier jetzt ein Zuhause im historischen Bahnhofsgebäude gefunden. Die Iserlohner Werkstätten suchten nach einer Immobilie für eine Projektidee, die hier gemeinsam mit der dia-Service GmbH realisiert werden konnte.
Hier wird das CaféBistro sowie ein Kiosk (inklusive E-Bike-Verleih) selbstständig von Menschen mit Behinderung betrieben und für diese die Teilnahme am Arbeitsleben erleichtert beziehungsweise erst ermöglicht.

„Inklusion war in der öffentlichen Wahrnehmung seinerzeit leider sehr auf den schulischen Bereich beschränkt. Da mussten wir schon reichlich dicke gesellschaftliche Bretter durchbohren“, erinnert sich Pascal Wink.
Das Projekt „Bahnsteig42“ rekrutiert seine Arbeitskräfte nicht zuletzt aus den Absolventen der Förderschulen – beispielsweise der Carl-Sonnenschein-Schule in Iserlohn-Sümmern und der Felsenmeerschule in Hemer – sowie aus Quereinsteigern und Teilnehmenden der Reha-Maßnahmen der Agentur für Arbeit.

Pascal Wink: „Unser oberstes Ziel ist es, die Menschen fit oder wieder fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen. Bei vielen ist es uns auch schon gelungen.“
Aktuell arbeiten im „Bahnsteig42“ 14 Menschen mit Behinderung sowie drei Mitarbeiterinnen als Arbeitsanleiterinnen von dia-Service der Diakonie Mark-Ruhr.
„caput-Redaktion“ im ehemaligen Wartesaal
Darüber hinaus ist die Redaktion von „caput – Das etwas andere Magazin“, ein international erscheinendes soziales Reportage- und Lifestyle-Magazin, in dem historischen Gebäude untergebracht. Die Redakteurinnen und Redakteure haben ihr Zuhause im ehemaligen Wartesaal der 1. Klasse gefunden.

DB-Regio als Betreiber der Bahnlinie kann den Bahnhof weiter nutzen und seinen Fahrgästen eine attraktive Station mit viel Service und Nutzen bieten. „Unser Kiosk ist Anlaufstelle für die Kunden der Bahn“, ergänzt Pascal Wink.
Mit der Gastronomie im Innen- und Außenbereich ist im „Bahnsteig42“ eine Begegnungsstätte für Menschen jeden Alters entstanden. Dazu trägt auch das reichhaltige Kultur-Angebot mit wechselnden Veranstaltungen, Vorträgen, Konzerten, Lesungen und Kleinkunst bei. Ab November startet das neue Programm mit „Singen am Kiosk“ und dem mittlerweile schon legendären „Kneipenquiz“.
Sechs Pedelecs für die Verleihstation
Mit Fördermitteln des Zweckverbandes Ruhr-Lippe hatte die Stadt Iserlohn sechs Pedelecs für die Verleihstation am „Bahnsteig42“ erhalten. Diese steigerten die Attraktivität des Bahnhofs in Letmathe und des Lenneradwegs. Für den Betrieb der Verleihstation ist die Stadt Iserlohn eine Kooperation mit dem „Bahnsteig42“ eingegangen und stellte die Pedelecs mit Zubehör zur Verfügung. Das Team am Bahnhof ist als Kooperationspartner für den gesamten Ablauf des Bike-Verleihs verantwortlich und betreibt diesen eigenständig.
Das Projekt hatte auch unter der Corona-Pandemie zu leiden. „Einige Arbeitskräfte sind uns verlorengegangen.“ Einigen haben auch die Wochen-Öffnungszeiten nicht gefallen. Deshalb reagierte das Führungs-Trio und strich die Wochenend-Öffnung. „Unsere Leute haben natürlich auch private Interessen – sie spielen Fußball oder Handball oder haben eine Roosters-Dauerkarte.“
„Inklusionswoche anders“ als Versuch
Und dann ist da ja noch ein ganz besonderes Experiment. Pascal Wink: „Jeweils eine Woche im Oktober, November und Dezember werden die Mitarbeitenden mit Behinderungen den kompletten gastronomischen Betrieb selbständig leiten und führen. Wir halten uns da ganz im Hintergrund und greifen nur ein, wenn es gar nicht anders geht.“ Die Idee zur „Inklusionswoche anders“, so der offizielle Titel, hatte Maurice Kröner vom Leitungsteam. Ziel ist es auch hier einmal mehr die Beschäftigten an die Bedingungen des Arbeitsmarktes heran zu führen. Dazu gehört das pünktliche Öffnen der Gasträume, Speisen zubereiten, korrekt abrechnen etc.
Die Gäste im Bahnsteig42 werden mit Plakaten und Aufstellern auf den Tischen auf die „Inklusionswoche“ hingewiesen. Deren Feedback ist ausdrücklich erwünscht.