Fast sehnsüchtig blickt Achim Gohmann Richtung Gesamtschule von seinem Fenster am Drosselweg aus: Dort sitzen die jungen Personen, die er für sein Straßen-, Kanal- und Tiefbauunternehmen so dringend braucht.
Zusammen mit Regina Linek und Britta Holthaus-Kleiner von der Lüdenscheider Arbeitsagentur für Arbeit sowie Bürgermeister Olaf Stelse bespricht er die Mangellage am Mittwoch, 15. März, anlässlich der „Woche der Ausbildung“. Die Aktionswoche weist auf alle betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten hin – doch im Handwerk sei der Fachkräftemangel besonders stark, so die Arbeitsagentur.
Schere zwischen Betrieben und Nachwuchs
„Eine Schere tut sich auf“, beschreibt Linek das Grundproblem. Der Märkische Kreis verzeichnet 2620 offene Lehrstellen bei 1563 gemeldeten Bewerbern bei der Arbeitsagentur. Die Zahlen für den Monat März liegen noch nicht vor. Jedes Jahr werde es schwieriger Auszubildende zu finden. Ein jahrelanges Problem. „In diesem Jahr geht unser einziger Lehrling in die Gesellenprüfung“, bedauert Achim Gohmann. Auch Bürgermeister Olaf Stelse beklagt den Rückgang der Auszubildenden im Verwaltungsbereich.
„Der demografische Wandel schlägt an dieser Stelle voll zu“, begründet Linek die Ursache für die auseinanderklaffenden Zahlen. Aber es gebe nicht nur zu wenige Jugendliche bei wachsendem Fachkräftemangel – häufig klafften auch Interessen sowie Vorstellungen der Schüler und das Angebot der Betriebe auseinander. Viele Schüler absolvierten ihr Abitur oder ein Studium. Sie fehlen den Ausbildungsbetrieben. Gleichzeitig könnten und wollten viele Jugendliche die Anforderungen der Betriebe nicht erfüllen, sind sich Unternehmen und Arbeitsagentur einig.
„Anfang der 2000er Jahre konnten wir uns aus einer großen Masse an Initiativbewerbungen unsere Wunsch-Lehrlinge aussuchen und ein bis zwei Azubis im Betrieb beschäftigen“, erinnert sich Achim Gohmann, der das Unternehmen von seinem Vater Dieter Gohmann übernommen hat. „Jetzt haben wir seit zwei Jahren keine Bewerbung für einen Ausbildungsplatz erhalten“, ergänzt sein Sohn Nico, der in dritter Generation beim Familienunternehmen arbeitet. Gerne würde die Firma weiterhin jährlich ein bis zwei Auszubildende beschäftigen. Auf der Website des Unternehmens ploppen dem Betrachter zahlreiche Stellenanzeigen entgegen. „An jeder Tür hängt ein ‚Wir suchen Dich‘-Schild“, verweist Achim Gohmann auf die allgemein angespannte Situation im Handwerksbereich. Fehlendes Personal bei vollen Auftragsbüchern.
Manko für Jugendliche: Kein Home Office im Straßenbau
„Wir können keine Vier-Tage-Woche einführen, wie es sich viele junge Leute wünschen“, betont Achim Gohmann. „Die Industrie wirbt damit und es ist in den Köpfen des Nachwuchses. Damit können wir nicht dienen. Wir dürfen bei einem Wasserschaden oder bei einer ausgefallenen Heizung am Donnerstagabend nicht sagen: Wir kommen dann am Montag.“ Vorzüge der modernen Arbeitswelt, wie flexible Arbeitszeiten oder Home Office könne ein Handwerksbetrieb nicht bieten. „Die Work-Life-Balance bricht dem Handwerk das Genick“, betont Gohmann. Sanierung müsse schnell und regelmäßig passieren. „Auch keine Wasserleitung hält ewig.“
Dem schließt sich sein Sohn an: „Wir arbeiten draußen. Straßenbau passiert im Sommer. Danach müssen wir uns richten“, so Nico Gohmann. „Wir können keine Wechselschichten machen. Sonst fehlt uns ein Mal der Lkw-Fahrer und ein Mal der Baggerfahrer. Wir brauchen die gesamte Kolonne“ – eine Voraussetzung, die bei jungen Leuten nicht auf Gegenliebe stoße. Am Gehalt indes dürfte der Nachwuchsmangel nicht liegen – da sind sich Vater und Sohn einig.
Man versuche, dem Nachwuchs entgegen zu kommen und biete Unterstützung bei schulischen Schwächen oder einem fehlenden Führerschein an. Auch auf multimediale Werbung setzten zunehmend mehr Handwerksbetriebe – allerdings ohne sichtlichen Erfolg. Auf eine Radiowerbung für den Oberbergischen Kreis und den Rheinisch-Bergischen Kreis hin habe sich niemand gemeldet. Man müsse auch den oft unspezifischen Lehrangeboten in der Ausbildung entgegenwirken. „Warum sollte ein Auszubildender für Straßenbau Psychologie und Soziologie lernen“, fragt Achim Gohmann. „Der verliert doch die Lust am Lernen.“
Sicherlich vergehe auch vielen die Lust, nach Kierspe zu pendeln, ist sich Gohmann sicher. „Wir brauchen schon Leute aus Kierspe, wenn es bei uns um 6 Uhr losgeht“, bestätigt sein Sohn. Die Blockade der Rahmedetalbrücke tue ihr Übriges beim Einzugsgebiet möglicher Auszubildender.
Auch mit Praktika habe man es schon versucht, aber der einzige Praktikant habe nach vier Wochen die Segel gestrichen. Auch Stöbertage seien während des Tagesgeschäfts problematisch.
Der Lehrling sucht den Betrieb aus
Angesichts dieser Lage könnten sich Jugendliche mit einem guten Zeugnis ihren Wunsch-Betrieb aussuchen. Auf der anderen Seite beobachtet Achim Gohmann eine zunehmende Bequemlichkeit unter Jugendlichen. Einige seien kaum mehr bereit, ihren Führerschein zu machen. Und wer ihn mache, habe bedauerlicherweise immer noch nicht die Lizenz zum Anhängerfahren, kritisiert der Straßenbauer. „Und heutzutage braucht man drei Monate für einen Lkw-Führerschein. Eine Zeit, in der ein Auszubildender fehlt. Hier muss der Gesetzgeber ran“, fordert Gohmann.
Und noch ein Problem gebe es: Betriebe würden kaum innerhalb einer Familie weitergegeben. Das klassische Familienunternehmen sterbe zunehmend aus. Die Gründergeneration gehe zunehmend in den Ruhestand.
Auswirkungen für die Gesellschaft: Zurück in die Steinzeit?
„Das Allgemeinwohl wird unter dem Fachkräftemangel leiden“, ist sich Achim Gohmann sicher. Holthaus-Kleiner erinnert sich an eine frühere Fernsehwerbung des Handwerkbetriebs, in dem eine Stadt „zurück gebaut wurde, um zu demonstrieren, was uns nach und nach fehlen würde, wenn immer mehr Handwerk wegbricht. Am Ende sitzt der Mensch wie in der Steinzeit in seiner Höhle“, resümiert die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur.
Bürgermeister Olaf Stelse möchte es nicht so weit kommen lassen und verweist auf die Ausbildungsbörse am 23. Mai in der Gesamtschule Kierspe, bei der sich Betriebe im Pädagogischen Zentrum und in der Mensa der Schule vorstellen könnten.
Des Weiteren unterstütze die „inab“ als bundesweiter Bildungsdienstleister Auszubildende durch eine schulische Hilfestellung. Die Arbeitsagentur verweist auf die Möglichkeit Nachhilfeunterricht über die Agentur zu bekommen. „An schulischer Leistung soll es nicht scheitern, wenn jemand anpacken möchte. Auch nicht an finanziellen Mitteln.“
Auch wolle man auf die positiven Perspektiven hinweisen, die Handwerkerberufe beinhalten könnten, etwa den Meister-Titel oder eine mögliche Selbstständigkeit.