Die Stadt Halver hatte einen Experten um eine Analyse der OGS-Angebote gebeten. Denn als sie als Träger des Offenen Ganztags im Jahr 2022 die Beiträge erhöhte, ging dies mit dem Versprechen, die Qualität zu erhöhen, einher. Doch Prof. Dr. Heinz Günter Holtappels i. R. von der TU Dortmund ging es nicht darum, die Qualität zu sanktionieren, sondern die Differenz zwischen Soll und Ist aufzuzeigen und Tipps zu geben, „wie man Ganztag machen sollte“. Er befragte im vergangenen Jahr Halvers Eltern von Grundschülern und Vorschulkindern, um Erkenntnisse über den Bedarf und die Nachfrage in Sachen OGS zu erlangen. Dass längst nicht alle zur Teilnahme Aufgeforderten mitmachten, gelte es dabei zu beachten – von den Kita-Eltern kam nur von knapp 50 Prozent eine Antwort zurück.
Weniger Abholzeiten zur Wahl stellen
Für den Experten stellen die Abholzeiten ein großes Problem dar: Aktuell können Eltern wählen, ob sie ihr Kind nach Schulschluss bis 14, 15 oder 16 Uhr betreuen lassen. Er empfiehlt, generell den Zeitrahmen bis 15 Uhr zu erweitern. „Eltern entscheiden nicht nach pädagogischen Kriterien, sondern wann sie mit dem Auto vorfahren können.“
Bis 14 Uhr passiere an der OGS aktuell alles: Essen, Hausaufgaben erledigen und spielen. „Das müssen Sie in Halver entzerren und neu rhythmisieren“, so Holtappels. Wenn Teile des Lernens am Nachmittag stattfänden, könnten die Kinder Inhalte aufnehmen, für die sie vormittags keine Kapazitäten mehr hätten. Damit spielte er auf die Leistungskurve der Kinder an, die nach einem Tief zur Mittagszeit wieder ansteige. „Unser Gehirn funktioniert nicht so, wie Schule gemacht ist. Es gibt nicht genügend Wechsel: der 45-Minuten-Takt ist nicht gottgewollt.“
Mehr Schüler, die die OGS besuchen
Holtappels sprach sich auch für eine hohe Schülerteilnahmequote an der OGS aus. Es gehe dabei nicht darum, die 100 Prozent zu erreichen. Aber um bestimmte Angebote machen zu können, brauche es genügend „Masse“.
Er zog den Vergleich zu Leistungskursen an Gymnasien, die manchmal mangels Schülern nicht zustande kämen. Doch dafür, so Stimmen aus dem Gremium, müsse das Angebot „so gut sein, dass Eltern auch bereit seien, ihr Kind länger bzw. überhaupt in der OGS betreuen zu lassen. Die Raumsituation, so der Professor, sei in Halver bereits gut. Man müsse hier nur flexibel mit Raum und Zeit umgehen.
Weniger Spiel und Freizeit – mehr Lernen
„Wir können nicht nur spielen“, machte Holtappels es kurz, um zu verdeutlichen, dass es in Halver mehr Lernangebote im Rahmen der OGS brauche. Dies sei auch ein Kritikpunkt der befragten Eltern gewesen. Sie bemängelten ein unzureichendes Lernangebot, die Hausaufgabenbetreuung sowie den Kontakt zum Personal. Der Professor verdeutlichte, dass es wichtig sei, an den Unterricht anzuknüpfen, um zusätzlich zum Unterricht Kompetenzen hervorbringen zu können. Daher empfiehlt der Experte, dass es in Halver weniger Spielangebote sowie weniger Freizeit und dafür mehr fachbezogene Lernangebote geben müsse. „Wir brauchen eine andere Mischung.“
Kritisch sah das Kristian Hamm (UWG), der seine Stimme als Betreiber mehrerer Kitas sowie der Offenen Kinder- und Jugendarbeit erhob: „Wenn wir jetzt anfangen, das Spielen gegen das Lernen auszuspielen, sträube ich mich. Spielen ist wichtig.“ Fachbereichsleiter Kai Hellmann sah die Gefahr, dass „wir nicht jedes Kind mitnehmen, wenn wir Lerninhalte in den Nachmittag holen.“
Lehrer in die Pflicht nehmen und Vollzeit-Stellen schaffen
Für Holtappels ist es unerlässlich, dass auch die Lehrer in der OGS mitarbeiten: „Wir können das Lehrerkollegium nicht völlig raushalten und alles nicht nur auf eine Person, zum Beispiel die OGS-Leitung, abwälzen.“ Er rät, das Personal aufzustocken und drei zusätzliche volle Stellen zu schaffen.
„Ich möchte, dass viel für die Kinder dabei herauskommt und es muss stemmbar sein.“ Das sozialpädagogische Personal könne das nicht alleine leisten, daher müsse man Lehrer in die Pflicht nehmen. „Das können wir nicht alles dem Ganztagspersonal aufbürden. Die Mitarbeiter brauchen zudem Fortbildungen und Schulungen – das ist auch Wertschätzung. Sie einfach machen zu lassen und nachher zu sagen ‚das war nix‘, finde ich falsch.“ Eine Verzahnung zwischen Lehr- und OGS-Personal sei unabdingbar, es müssten regelmäßig Zeiten zum Austausch der Fachteams geschaffen werden. Da in Halver von einer Elternnachfrage von 70 bis 75 Prozent auszugehen sei, müsse man auch daher das Personal erhöhen.
Dr. Jana Schrage (Die Grünen) fragte den Experten, wie es seiner Meinung nach bundespolitisch um das Fachkräftegebot im Offenen Ganztag stehe. „Das gibt es überall – nur nicht in der OGS. Als wäre es egal, wer mit Kindern arbeitet.“ Holtappels befürchtet, dass sich das „eher nach unten“ bewege. Ab 2026 gebe es den Rechtsanspruch und da man bis dahin nicht ausreichend Fachpersonal habe, sei hier ein Schritt vor dem anderen gemacht worden. Das machten andere Länder besser, stellte er Deutschland keine gute Bewertung aus.
„Grundschule verpflichtend von 8 bis 15 Uhr“
Ob ein verpflichtender Ganztagesbetrieb bis 15 Uhr an Halvers Schulen nicht alle Probleme lösen könne, wollte Dagmar Eckhardt (SPD) von dem Experten wissen. Und offensichtlich traf sie damit bei ihm ins Schwarze: „Ich habe jahrelang dafür gekämpft, wurde aber scharf kritisiert. Das wäre das Richtigste“, so Holtappels. Für die Wortmeldung von Franziska Ihne, die als Zuschauerin teilnahm, wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Sie machte das Gremium darauf aufmerksam, dass eine derart lange Unterrichtszeit die Teilnahme an Schwimmkursen oder anderen Hobbys gefährde oder gar unmöglich mache. „Halvers Kinder müssen die Chance haben, Schwimmen zu lernen.“
Kai Hellmann als Fachbereichsleiter nahm von dem Vortrag mit, dass es eine viel tiefere Verzahnung von OGS und Grundschule in Halver geben müsse. Monika Lauterbach, Leiterin der Lindenhofschule, die Hellmann auf ihrer Seite wisse, brachte zum Ausdruck, dass genau das bislang das Problem des Schulträgers gewesen sei. „Es war ja bislang nicht möglich, es zu finanzieren, dass Leute vom Nachmittag in den Vormittag und umgekehrt kommen können. Wir brauchen Mitarbeiter mit einem größeren Stundenkontingent und nicht nur viele mit 520-Euro-Jobs.“ Kämmerer Simon Thienel warf ein, wieso er Lehrer überzeugen müsse, bis 15 Uhr zu arbeiten – bei einem 41-Stunden-Vertrag.
Mathias Ihne (FDP) erinnerte an das Qualitätsversprechen, dass damals mit den Beitragserhöhungen einher ging und fragte den Professor, wo Halver denn nun in Sachen OGS stehe. Eine konkrete Antwort konnte dieser nicht liefern und verwies auf all die Impulse, die seine Analyse ergeben habe. Ihne kritisierte, dass es für die Lehrer Kernaufgabe sei, den Unterricht sicherzustellen und das sei schon eine Herausforderung. Um nun mit diesem riesigen Hausaufgabenpaket umzugehen, dafür sehe er keine einfachen Lösungen.
Bürgermeister Michael Brosch betonte, dass die Verwaltung den erforderlichen Rahmen schaffen könne. „Ich glaube schon, dass die Verwaltung dazu bereit ist, das zu tun. Wir wären bereit, das Mehr an Stellen zu schaffen.“ Er bitte darum, dass in den kommenden Sitzungen eine gewisse Erinnerungsfähigkeit da sei. Dazu müssten alle miteinander bis zum letzten Schritt gemeinsam gehen.