Sandra Eltzner arbeitet von 1994 bis 2014 als Hebamme im St.-Johannes-Hospital in Dortmund. Sie ist Mitglied der katholischen Kirche. Sie kündigt selbst, um in die Selbstständigkeit zu wechseln. Schon damals wird ihr mit auf den Weg gegeben, dass sie jederzeit wieder zurück in die Klinik kann, sollte sie wieder ins Angestelltenverhältnis wechseln wollen. Während ihrer Selbstständigkeit fasst sie den Entschluss, aus der katholischen Kirche auszutreten. Eine bewusste Entscheidung, mit der sie sich im Vorfeld bereits intensiv auseinander gesetzt hatte. „Aber da war ich noch angestellt und hatte unterschrieben, dass ich Mitglied der katholischen Kirche bin, darum geht es aber auch gar nicht“, erzählt Sandra Eltzner.
Mitte März 2019 ruft die Hebamme dann tatsächlich bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber an und fragt, ob sie zurückkommen kann. Eine Nachricht, die in Zeiten von akutem Hebammen-Mangel mit Freude aufgenommen wird. Ginge es nach dem Krankenhaus, hätte sie sofort anfangen können. Sie einigen sich jedoch auf Anfang April. Sandra Eltzner bekommt den bereits unterschriebenen Vertrag und den Personalfragebogen. Wahrheitsgemäß gibt sie an, kein Mitglied der Kirche zu sein. Vertrag und Personalbogen gibt sie persönlich im Krankenhaus in der Personalabteilung ab. Gedanken machte sie sich keine, arbeiten im Krankenhaus doch auch Protestanten, Muslime und bekennende Atheisten.
Sandra Eltzner trat also Anfang April ihren Dienst im Kreißsaal an. „Ende April ist der Personalabteilung dann wohl aufgefallen das ich gar kein Mitglied der Kirche mehr bin. Und so wurde ich vor die Wahl gestellt, entweder ich trete wieder ein oder ich werde gekündigt. Aber erpressen lasse ich mich nicht“, erzählt die Nachrodt-Wiblingwerderin. Sie arbeitete erstmal weiter, wurde zu verschiedenen Gesprächen mit dem Personalchef gerufen, der ihr schließlich anbot, dass es auch reiche, in die evangelische Kirche einzutreten. Auch ein Gespräch mit dem Krankenhaus-Pfarrer musste sie führen. „Das war tatsächlich gut. Ich bin ja auch durchaus bibelfest. Ich bin schließlich nur aus der Kirche ausgetreten und nicht aus dem Glauben.“
Im August kam dann schließlich doch die Kündigung, ohne Begründung, da sie noch in der Probezeit erfolgte. Rückendeckung erhielt die Hebamme durch die Mitarbeitervertretung und das Kreißsaal-Team, sie sprachen sich gegen die Kündigung aus. „Ich habe dann beschlossen, gegen die Kündigung zu klagen, da es ja keine Probezeitkündigung war, sondern eine aufgrund meiner Religion“, berichtet Sandra Eltzner. Anfang 2020 wurde der Fall vor dem Dortmunder Arbeitsgericht verhandelt und Sandra Eltzner bekam Recht. Sie wurde wieder eingestellt und arbeitete weiter. Das Krankenhaus ging gegen das Urteil an und so landete der Fall noch im gleichen Jahr vor dem Hammer Landgericht. Dort verlor Sandra Eltzner, bekam jedoch die Möglichkeit zur Revision. Die legte sie ein und nun war das Bundesarbeitsgericht zuständig. Mittlerweile war Juli 2022. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob es rechtens ist, jemanden zu kündigen, der schon vor seiner Einstellung aus der Kirche ausgetreten war.
Da inzwischen die Brisanz des Themas klar wurde, sprach das Bundesgericht kein Urteil und verwies an den Europäischen Gerichtshof. Denn dieses Urteil wäre wegweisend für zahlreiche kirchliche Angestellte. Am 4. September 2023 saß also Sandra Eltzner im Saal des riesigen Gerichtshofs in Luxemburg. Doch dort lenkte das Krankenhaus plötzlich ein und schlug einen Vergleich vor. „Die hatten Sorge, dass ich gewinne und so einen Präzedenzfall schaffe. Denn dann könnten kirchliche Beschäftigte aus der Kirche austreten“, mutmaßt Eltzner. Da der Vergleich dem Gericht nicht vorlag und Sache des Bundesgerichts war, wurde erst einmal weiterverhandelt. Aufgrund des Vergleichsangebots wurde das Verfahren schließlich jedoch aus dem Register des Gerichtshofs gestrichen.
Im Oktober 2023 lag dann das entsprechende Angebot zur Wiedereinstellung vor. „Ich habe den Vergleich allerdings nicht angenommen. Unter anderem weil darin stand, dass ich aus betriebswirtschaftlichen Gründen gekündigt worden sei und ich Stillschweigen bewahren sollte. Ich habe mir aber noch nie den Mund verbieten lassen. Erst wollten sie mich vier Jahre nicht und jetzt soll ich auch noch den Mund halten“, sagt die Hebamme.
Schließlich sollte Eltzner ihre Arbeitsstelle binnen drei Tagen antreten. „Denen war klar, dass ich als selbstständige Hebamme alle Hände voll zu tun habe. Ich habe Frauen, die ich begleite und gewiss nicht so spontan im Stich lassen. Daraufhin habe ich meine Kündigung eingereicht.“ Das Problem für Eltzner: Ein Gerichtsurteil gibt es nun nicht, da sie ihren Job zurückbekam: „Ich hätte besser auf Diskriminierung als auf Wiedereinstellung geklagt. Aber das wusste ich damals ja auch alles noch nicht.“
Eltzner betonte: „Wichtig ist mir, dass wir verbreiten, dass auch Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, weiter beschäftigt werden dürfen.“ Sie selbst ist davon überzeugt, dass ihre Religionszugehörigkeit mit ihrer fachlichen Arbeit nicht das Geringste zu tun hat. Und so wurde sie auch eines der Gesichter einer Online-Petition, die Verdi ins Leben rief. Zehntausende Menschen forderten mit ihrer Unterschrift: „Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte!“ Es sei höchste Zeit, dass Beschäftigte bei Diakonie, Caritas und Kirchen nicht mehr wegen privater Entscheidungen gekündigt werden könnten. Wörtlich heißt es: „Sie haben es verdient, über ihre Arbeitsbedingungen wirksamer mitbestimmen zu können. Wir fordern vom Gesetzgeber, beides endlich neu zu regeln.“ Sandra Eltzner war dabei als in dieser Woche die Unterschriften in Berlin an den Bundestagsabgeordneten Mathias Papendick (SPD) und Manuel Emmler (Mitarbeiter von Frank Bsirske, Bündnis 90/Die Grünen) übergeben wurden. Verdi hatte die Petition ins Leben gerufen, da es nicht reiche, das kirchliche Arbeitsrecht nur zu überprüfen, wie es
SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Zuvor hatte bereits eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Zukunft kirchlicher Loyalitätsanforderungen
– Im Spannungsfeld von kirchlichem Ethos, Gleichbehandlungsrecht und Arbeitskräftemangel“ im Rahmen der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Berlin stattgefunden. Auch dort saß Sandra Eltzner auf der Bühne und berichtete von ihrem Fall. Neben ihr saßen Daniel Wenk, Sprechergruppe der Bundeskonferenz diakonischer Mitarbeitervertretungen, Prof. Dr. Hartmut Kreß, von der Evangelisch-Theologische Fakultät, Abt. Sozialethik, der Universität Bonn, Elke Gundel, Geschäftsführerin Liebenau Teilhabe und Prof. Dr. Ulrike Kostka, Caritasdirektorin im Erzbistum Berlin.
Krankenhaus gibt keinen Kommentar
LokalDirekt hat das St.-Johannes-Hospital um Stellungnahme gebeten. Unter anderem mit diesen Fragen:
- Das Angebot des Vergleichs: Wurd dieses wirklich nur gemacht, um einen Präzendenzfall zu verhindern?
- Warum wurde nicht vor der Vertragsunterzeichnung der Personalbogen gecheckt?
- Wie viele Mitarbeiter hat Ihr Krankenhaus? Sind alle Mitglied der katholischen Kirche oder ist die Konfession egal?
- Warum ist Ihnen die Kirchenzugehörigkeit so wichtig?
- Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem. Da haben Sie eine qualifizierte und erfahrene Mitarbeiterin und müssen darauf verzichten, nur weil sie kein Mitglied der Kirche mehr ist. Wie reagieren die Kollegen darauf, die sicher an der Belastungsgrenze arbeiten?
- Wird das Thema in Ihrem Haus noch diskutiert?
- Hat der Fall Eltzner etwas verändert in Ihrer Einstellung und in Ihrem Handeln?
- Die Einstellung binnen drei Tagen, war für Sandra Eltzner aufgrund bestehender Verträge nicht umsetzbar. Sie sagt, dass sei klar von Ihnen so kalkuliert gewesen. Ist das so?
- Im Lauf der Jahre gab es Wechsel in der Geschäftsführung. Was ist denn Ihre Meinung zu dem Thema? Lieber auf fachlich gute Kräfte verzichten?
- Wie fest ein Mensch im christlichen Glauben steht, hängt nicht unbedingt von der Kirchenzugehörigkeit ab. Gerade die katholische Kirche hat große Probleme. Der Rückhalt zur Institution Kirche ist ins Wanken geraten. Ist es nicht wichtiger, dass jemand christliche Werte lebt und vermittelt als dass er Mitglied der Kirche ist? Viele Mitglieder der Kirche haben keinerlei Bezug zum Glauben und sind lediglich Mitglied, weil sie müssen. Ist das vom Grundgedanken her nicht falsch gedacht?
Die Antwort aus dem Krankenhaus: „Ihre E-Mail ist bei uns angekommen. Wir möchten keine Stellungnahme abgeben.“