Probe im Evangelischen Gymnasium Meinerzhagen: Ben Köster (27), Dirigent und Kirchenmusiker, schlägt mit links die Töne am Klavier an, dem rechten Arm des Chorleiter folgen 40 Augenpaare. Wieder und wieder wird eine Sequenz gesungen. Köster korrigiert verbal, akzentuiert mit der rechten Hand. Fünf, sechs Mal, dann passt es. Aus Takten wird ein Lied, konzentriert und mit Inbrunst durchgesungen. Ziel der seit dem Sommer laufenden Proben ist die Aufführung des Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach, gemeinsam mit Solisten und Musikern. Und das gut sieben Monate nachdem der Chor nach der Corona-Pandemie wieder durchgestartet ist. Anfang Mai hatte Cantamus Puccinis „Messa di Gloria“ und Mendelssohn-Bartholdys Psalm 42 „Wie der Hirsch schreit“ sowie seine Streichersymphonie Nr. 10 in h-Moll aufgeführt.
„Die Johannes-Passion war die erste Aufführung“, blickt Florian Theis (22) auf sein Chor-Debüt im Frühjahr 2022 zurück. Vorsitzende Verena Welschof erinnert sich: „Mit Paulus hab ich angefangen.“ Das war schon 20 Jahre früher. Während gemeinhin der gregorianische Kalender unsere Zeitrechnung bestimmt, orientieren sich die Mitglieder des Cantamus-Chores Kierspe-Meinerzhagen an Oratorien. Die geistliche Musik ist ihr Metier. Damit haben sie sich einen Namen in der Region gemacht.
Dirigent begeistert von Leistungsfähigkeit
Für Köster, der die Leitung des Chores 2020 übernommen hatte („Drei Proben vor der Pandemie.“), ist das Bach-Werk „das chororatorische Stück für Weihnachten“ schlechthin. Für viele gehöre es zur Tradition wie der Weihnachtsbaum.
Er sieht in der Bach-Komposition „eine hoffnungsvolle positive Botschaft. Gerade in Zeiten, wo die schlechten Nachrichten scheinbar die Überhand nehmen, sind solche zuversichtlichen Werke nicht nur zeitlos, sondern auch eine wichtige Erinnerung“, so Köster.

Er wählt die Literatur aus, die dann nach Rücksprache mit dem Vorstand umgesetzt wird. Unter der Leitung von Frank Bisterfeld hatte er schon mal mitgesungen und war „begeistert, was musikalisch auf dem Land‘ möglich ist“.
Was Bisterfeld aufgebaut habe, sei bemerkenswert. Als Köster dann vor der Frage stand, ob er die Leitung des Chores übernehmen könne, musste er „nicht lange nachdenken.“

Als Dirigent achtet er darauf, dass das Werk zum Chor passt. Wichtiges Kriterium dabei: die Anzahl der Akteure. „Für Werke der Romantik brauchen ich einfach mehr Chorstimmen, um mit der großen Zahl an Instrumentalistinnen und Instrumentalisten ‚mithalten‘ zu können“, schildert Köster. Mit seinen Sängern könne er viel von dem umsetzen, was er sich musikalisch vorstelle.
Der Schwerpunkt liege aber auf den Oratorien, bei denen er „eine große zeitliche Bandbereite“ abdecken möchte. Diese reicht von ganz früher Musik bis hin zu zeitgenössischen Werken. „Wir wollen vieles ausprobieren, aber unter Berücksichtigung unserer Spezialisierung.“
Immer wieder neue junge Stimmen
Großer Chor, singen mit Solisten und Orchester. Das ist ein Setting, das für Freunde der Chormusik attraktiv ist. Florian Theis (22) fasziniert die Musik. „Sie mit Orchester aufzuführen begeistert einfach“, sagt er. Anemone Vater (17) hat schon als Fünfjährige im Kinderchor gesungen. Sie spielt Orgel, Klavier, Trompete und macht im Oratorienchor mit, weil sie „die Stücke reizen“ und sie „gerne solche Musik mag“. Dabei bedauert sie, dass „junge Leute schwer für solche Musik zu begeistern sind“.
Begeisterung gehört für die derzeit 48 Chormitglieder dazu. Das ist im Gespräch mit jedem und jeder spürbar. Hannelore Simanzik ist schon mehr als 20 Jahre dabei. Sie hatte in den Cantamus-Anfängen ein Konzert besucht und wusste gleich: „Da muss ich rein.“ Neben der Chorliteratur schätzt sie „die tolle Gemeinschaft“. Anfangs ging es freitags nach der Probe gemeinsam in die Kneipe. Mit zunehmenden Alter wurde diese „Nachbereitung“ seltener.
Gudrun Domke hatte bereits im Chor der Freien evangelischen Gemeinde Kierspe mitgesungen, dem Cantamus-Vorläufer – und ist dabei geblieben. Auch sie lobt die soziale Empathie. Jung und Alt agierten gemeinsam. „Das stärkt einen auch“, meint sie. Es seien immer „Leute da, die sich kümmern und Hilfe anbieten.“ Und: Sie schätzt die klassische Musik, für die Cantamus steht. Vier Stimmen, die auch für ein Motto stehen, mit dem der Chor auf seiner Homepage wirbt: „Eine Harmonie aus Jung und Alt“.
Regionale Akteure eingebunden
Dabei verstanden es Dirigent und Vorstand neben Profi-Musikern immer wieder regionale Akteure mit einzubeziehen. Kontakte in der Musikszene halfen, Instrumentalisten und Solisten für die Mitwirkung bei Konzerten zu gewinnen, erinnert sich Frank Bisterfeld, der an der Gesamtschule Musik unterrichtete. Und die Chor-Leitung verstand es, Sponsoren zu finden und für das Genre zu begeistern.
Die Corona-Pandemie hat – wie vielfach im Kulturbereich – auch dem Chor zugesetzt. Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Zuwendungen von Sponsoren flossen deutlich verhaltener. „Die Finanzierung wird immer schwieriger“, so Vorsitzende Verena Welschof.
Der Aufwand für die Konzerte ist erheblich. Ein großes Konzert schlägt mit einem fünfstelligen Betrag zu Buche. „Immer spielten bei der Konzertplanung und bei der Entscheidung ein bestimmtes geistliches Werk aufzuführen, die Finanzen eine außerordentlich wichtige Rolle“, so Frank Bisterfeld, der als Sänger und 2. Vorsitzender weiterhin mitmacht.
Persönliche Kontakte anfangs ausschlaggebend
Er hatte vor 28 Jahren die Vision, im Volmetal einen Chor für gemischte Stimmen zu gründen, der sich der geistlichen Chormusik verschreiben sollte. Interessenten gab es bereits im Kiersper Musikkreis. „Ich hab Leute angequatscht“, blickt Bisterfeld zurück. So entwickelte sich aus dem 1995 gegründeten Chor Cantamus Kierspe mit gut einem Dutzend Aktiven ein großer Oratorienchor. „ Mit dem Chor sei „ziemlich viel möglich“ schätzt Ben Köster sein Team als einen „der leistungsstärksten Chöre im Umkreis“ ein.
So wichtig fachliche Leitung, Notenblätter und Engagement sind, bei den Cantamus-Mitgliedern hat das Menschliche, die familiäre Atmosphäre vom Start weg einen hohen Stellenwert. Das, so Köster, schlage sich auch im musikalischen Ergebnis nieder: „Es ist wie bei einem Fußball-Team: Wenn alle gut miteinander spielen, ist die Torwahrscheinlichkeit erheblich höher und es macht zudem auch viel mehr Freude.“ Dass hier mehr als elf Freunde miteinander agieren, wird am 17. Dezember hörbar sein.
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Weihnachtsoratorium von J.S. Bach
Sonntag, 17. Dezember, 17 Uhr,
St. Josef Kirche, Kierspe
Karten
Vorverkauf: Buchhandlung Timpe (Kierspe)
Internet: www.cantamus-kierspe.de
Tickets: 20 Euro, ermäßigt fünf Euro