Weihnachten ist für viele die Zeit, in der es ein bisschen ruhiger wird – zumindest für ein paar Stunden zwischen Plätzchenduft, Lichterketten und dem Rascheln von Geschenkpapier. Und kaum etwas passt so gut unter den Weihnachtsbaum wie ein Buch: ein Fenster in andere Welten, ein stiller Begleiter für die Feiertage, ein Geschenk, das lange nachwirkt.

Auch für Stefanie Ingenpaß, Leiterin der Gemeindebücherei Nachrodt-Wiblingwerde, spielt das Lesen gerade in dieser Jahreszeit eine besondere Rolle. Im Gespräch verrät sie, welches Sachbuch sie selbst am liebsten verschenken würde, welcher Roman sie 2025 besonders bewegt hat, was Kinder wirklich zum Lesen motiviert – und warum die Bücherei in der Gemeinde weit mehr ist als nur ein Ort voller Regale. Es ist ein Rückblick auf ein ereignisreiches Jahr, ein Ausblick auf neue Projekte und eine Einladung, wieder einmal in eine Geschichte einzutauchen.

Wenn Sie nur ein Sachbuch unter den Weihnachtsbaum legen dürften – welches wäre das und warum?

Stefanie Ingenpaß: "Oh je, nur ein einziges? Dann den Sonderband „Was ist Was: Das Sauerland“ von Christina Braun. Dieses kleine Sachbuch zeigt mit vielen Bildern und relativ wenig Text, wie schön und vielfältig es bei uns ist. Ein feines Geschenk für Jung und Alt."

Welcher Roman war in diesem Jahr für Sie ein absolutes Highlight und ein Must-have für Leseratten?

"Flusslinien von Katharina Hagena. Ein Buch über Margrit (102) und ihre mäandernden Erinnerungen, ihre 18jährige Enkelin Luzie, die nach einer Vergewaltigung durch einen Mitschüler die Schule geschmissen hat und sich nun als Tätowiererin versucht (auf Margits alter Haut) und Pfleger Arthur, der den Tod seines Bruders verarbeitet, Sprachen erfindet und das Flussufer der Elbe nach Schätzen absucht. Drei tief-und feinsinnige Charaktere, engagiert, humorvoll und miteinander verbunden, während die langweilige mittlere Generation nur um sich selbst kreist und deshalb auch nur eine kleine Rolle spielt. Hagena schreibt geistreich und poetisch; die Lebenslinien ihrer Charaktere lassen einen nicht los."

Beim Adventsfenster wurde es weihnachtlich kuschelig in der Bücherei.
Foto: Marvin Schmidt / Archiv

Welches Kinderbuch würden Sie Eltern oder Großeltern wärmstens empfehlen und warum?

"Meine wärmste Empfehlung lautet hier: Schenken Sie dem Kind zum Buch auch Zeit. Lesen Sie vor und machen Sie es sich so gemütlich und kuschelig wie möglich. Dann gehen Sie gemeinsam auf Entdeckungsreise, erleben Sie Abenteuer oder lachen Sie sich scheckig. Holen Sie das Kind bei seinen Interessen ab, egal ob Minecraft, Paläontologie oder Ponyhof."

Gibt es ein Buch, das Leserinnen und Leser regelmäßig überrascht – egal aus welchem Genre?

"Ich glaube, Lena Schätte hat uns mit ihrem zu Recht preisgekrönten Roman ,Das Schwarz an den Händen meines Vaters' in diesem Jahr am meisten überrascht. Ihre Beobachtungsgabe, die Umsetzung in einen knappen präzisen Schreibstil, die schonungslose und doch einfühlsame Schilderung des gesellschaftlichen Phänomens Alkoholismus, berührt unangenehm und trifft voll auf die Zwölf."

Welche Titel wurden in diesem Jahr in Ihrer Bücherei besonders häufig ausgeliehen? 

"Im Kinderbuchbereich führen die Minecraft-Bücher für Lesestarter die Hitliste an, dicht gefolgt von einem Sachbuch über Dinosaurier und Paluten. Im Erwachsenenbereich steht Katharina Hagena an der Spitze, Jojo Moyes und Lena Schätte teilen sich den zweiten Platz."

Jetzt folgen ein paar Fragen zum Lesen im Allgemeinen: Welche Rolle spielt das Lesen Ihrer Meinung nach heute – gerade in einer zunehmend digitalen Welt?

"Die Lesefähigkeit ist wichtiger denn je, weil Lesen die Medienkompetenz fördert. Abgesehen vom Lesen am Bildschirm, tut es aber gut, ein Buch zur Hand zur nehmen, denn es fördert die Konzentration, entschleunigt und manchmal entspannt es auch einfach."

Welche Entwicklung beobachten Sie bei den Lesegewohnheiten der Menschen in Ihrer Gemeinde?

"Die Nachrodter Leserschaft mag nach wie vor gerne Krimis, erfreut sich aber auch sehr an intelligenter Unterhaltung, wie die Hitliste zeigt. Und die Kids orientieren sich zum einen an ihren Lieblings-Youtubern, zum anderen mögen sie witzige Bilderbücher wie Dr. Brumm oder das Neinhorn."

Was macht für Sie persönlich ein wirklich gutes Buch aus?

"Ein Buch ist für mich dann gut, wenn es meinen Horizont erweitert, mir neue Ideen oder Perspektiven bringt. Eloquenz, Ausdrucksstärke und Originalität bringen mein Herz zum Hüpfen. Das gilt gleichermaßen für Sachbücher und Romane."

Wie motivieren Sie Menschen – besonders Kinder und Jugendliche – mehr zu lesen?

"Indem ich versuche den Zugang zum Lesen mit Freude und Spaß zu verknüpfen. Ich frage nach den Interessen der Kinder und helfe ihnen dann etwas dazu passendes zu finden. Selbstverständlich dürfen Wünsche geäußert werden. Auch kreative Aktionen wie beim Sommerleseclub machen neugierig auf Bücher."

Welche Bedeutung haben öffentliche Büchereien heute Ihrer Ansicht nach für eine Kommune wie Nachrodt-Wiblingwerde?

"Büchereien bieten Zugang zu Wissen und Kultur, unabhängig von Alter, Einkommen oder Herkunft. Darüber hinaus sind sie auch Begegnungsräume. Eine gut ausgestattete und freundlich eingerichtete Bücherei wie die unsere wertet die Gemeinde auf. Das geben mir besonders die neu hinzugezogenen Familien mit kleinen Kindern zu verstehen."

Stefanie Ingenpaß ist überzeugt: Wer Kinder für Literatur begeistern möchte, sollte nicht nur ein Buch, sondern auch Zeit schenken.
Foto: Machelett / Archiv

Jahresende ist auch immer die Zeit für einen Rückblick. Wie würden Sie das Jahr 2025 für die Gemeindebücherei zusammenfassen?

"Es war ein gutes Jahr – mit Luft nach oben."

Gab es besondere Aktionen, Veranstaltungen oder Projekte, die Ihnen besonders am Herzen lagen und die in Erinnerung bleiben?

"Was die Aktionen für Besucher:innen angeht, so freue ich mich über den Erfolg des Buchclubs für Erwachsene, bei dem wir uns gegenseitig unsere derzeitigen Lieblingsbücher oder die All-Time-Favourites vorstellen.

Dass die Vorschüler der Kita St. Elisabeth hier an insgesamt fünf Vormittagen einen Bücherei-Führerschein gemacht haben war auch ganz toll. So stelle ich mir eine gelungene Kooperation vor.

Der Sommerleseclub in den großen Ferien war erfolgreich und wird 2026 auch wieder stattfinden und mit der ersten zweisprachigen Veranstaltung am bundesweiten Vorlesetag in Kooperation mit dem Integrationszentrum des Märkischen Kreises haben wir den Grundstein für eine Reihe dieser mehrsprachigen Veranstaltungen gelegt, die dann über die Kitas laufen wird."

Welche Entwicklungen oder Trends haben das Jahr geprägt – beispielsweise neue Nutzergruppen, digitale Ausleihzahlen oder besondere Förderungen?

"Die Ausleih- und Besucherzahlen sind noch einmal angestiegen, was sicherlich mit der erweiterten Öffnungszeit am Mittwochnachmittag zusammenhängt. Darüber hinaus freue ich mich über Social-Media-Auftritt der Gemeinde. Ich stelle fest, dass sich besonders die neu Hinzugezogenen im Internet über die Angebote in der Gemeinde informieren und dann auch gerne die Bücherei aufsuchen. Da immer mehr Eltern mit Kleinkindern kommen, wird es im nächsten Jahr eine Krabbelgruppe geben. Außerdem soll die Bücherei ein stillfreundlicher Ort werden, das heißt es wird noch eine besondere, etwas Privatsphäre bietende Ecke und einen Wickeltisch geben."

Was war Ihr persönliches Highlight des Jahres in der Bücherei?

"Puh, das ist schwer zu sagen, weil es immer wieder so schöne Erlebnisse gibt. Letztlich freue ich mich aber immer am meisten, wenn Kinder die Bücherei für sich entdecken und dann regelmäßig mit ihren Eltern oder Großeltern oder später auch alleine kommen. Die Übergabe der Leseausweise an die Vorschulkinder war sehr berührend und auch die Verleihung der Lese-Oskars am Ende des Sommerleseclubs.

Oh, und die OGS startet im Januar eine Bücherei-AG und wird dann regelmäßig mittwochs kommen. Das finde ich großartig."

Worin sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Gemeindebücherei?

"Für das kommende Jahr strebe ich verbindliche Kooperationen mit den Kitas an. Ich wünsche mir, dass jedes Nachrodter Kind, bevor es in die Schule kommt, die Bücherei kennengelernt hat."

Welches Buch hat Sie selbst in diesem Jahr am meisten bewegt?

„Für Polina von Takis Würger, eine Geschichte über die Liebe und den Zauber der Musik. Sprachlich wunderschön, ein bisschen skurril und ja, ich habe beim Lesen sogar ein paar Tränen vergossen – das passiert mir nicht mehr so oft."

Wenn die Bücherei ein Motto für das kommende Jahr hätte – wie würde es lauten?

"Da die Bücherei im ersten Stock des Gebäudes liegt und ich optimistisch in die Zukunft schaue, würde ich sagen ,The only way is up'."

Wie würden Sie jemanden überzeugen, wieder einmal ein Buch auszuleihen, der seit Jahren keines mehr gelesen hat?

"Kommunikation ist alles. Sei es nun persönlich oder über andere Kanäle. Ist ein Gast erst einmal da, helfen ein freundliches Auftreten und eine gelungene Präsentation der Vielfalt unseres Angebotes ungemein. Viele Menschen wissen gar nicht, dass man aktuelle Bestseller ausleihen kann oder dass es auch ein großes Online-Angebot an Romanen, Zeitschriften und Hörbüchern gibt. Ich denke, mit einem Leseausweis hat man nichts zu verlieren und sehr viel zu gewinnen."