Ulrich Brolle führte die Teilnehmer als Insider zuerst zum Lüdenscheider Bahnhof. Dort erzählte er davon, dass an der Haltestelle kaum noch Sitzflächen oder Bänke zur Verfügung stehen, auf denen Bedürftige sich abends niederlassen können. Er sei fast täglich am späten Nachmittag vor Ort und vermitteleLeute an die umliegenden Hilfestellen. Zwei Mal in der Woche bringt er belegte Brote von der Caritas Beratungsstelle mit und verteilt sie an Bedürftige.
Manchmal führe das Ordnungsamt am Bahnhof vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und bei eventuellen Konflikten zur Hilfe zu kommen. In einem offenen Aufenthaltsraum im Bahnhofsgebäude befinden sich eine kostenpflichtige Toilette und eine schlüsselgesicherte Toilette für Behinderte. Noch am Vortag der Tour wurde die Kasse am Schloss der ersten Tür gewaltsam entwendet. Einen Schlüssel für die Behinderten-Toilette gibt es bei der Stadt Lüdenscheid für knapp 24 Euro Leihgebühr – jedoch unterliege diese Ausgabe bestimmten Richtlinien, so Ulrich Brolle.

„Alles Und Suppe“ im AJZ
Die zweite Station der Tour befindet sich im Alternativen Jugendzentrum Lüdenscheid (AJZ), wo die Ehremamtlichen von „Alles Und Suppe“ bereits belegte Brötchen vorbereiteten. Von Montag bis Donnerstag können Menschen dort zwischen 16 und 19 Uhr etwas zu Essen bekommen, sich in den warmen Räumlichkeiten aufhalten und mit den Ehrenamtlichen ins Gespräch kommen (wir berichteten). Mittwochs ist immer ein Mitarbeiter der Caritas Beratungsstelle vor Ort, um Hilfe und Vermittlung anzubieten.
Kostenloser Haarschnitt
„Alles und Suppe“ arbeitet eng mit dem Verein der „Sauerländer Jungs“ zusammen, von denen Wilfried Lambertz bei der Tour dabei war. Die „Sauerländer Jungs“ gründeten sich als Hilfsprojekt nach der Hochwasserflut vor einigen Jahren und arbeiten seitdem unter dem Motto „Nicht labern, machen!“ mit anderen Hilfsorganisationen in Lüdenscheid zusammen. Am 1. Sepember veranstalteten die Ehrenamtlichen mit einem Lüdenscheider Friseur zusammen eine kostenlose Haarschneideaktion für die Besucher von „Alles Und Suppe“. „Wenn man sich nichts zu beißen leisten kann, wird der Haarschnitt eher nicht vom Friseur gemacht“, so Atilla Gültekin.
Vom AJZ führte die Tour als nächstes an die Viktoriastraße zum Amalie-Sieveking Haus für wohnungslose Männer. Einrichtungsleiter Andreas vom Ende und einer der Sozialarbeiter des Hauses, Robert Koston, empfingen die Tour-Teilnehmer und berichteten von der Einrichtung und ihrer Arbeit, in der Wohnraum und soziale Unterstützung zusammenkommen. Nach einer telefonischen Anfrage und einem ersten Gespräch werde geprüft, ob die Person in die Maßnahme des Hauses passe, wofür vor allem die Eigeninitiative, etwas an den eigenen Problemen zu ändern, maßgeblich sei, so Andreas vom Ende.
Fünf Sozialarbeiter kümmern sich innerhalb des Hauses um die Bewohner und deren Begleitung auf dem Weg, wieder eigenständig in einer eigenen Wohnung leben zu können. Neben 32 Zimmern in der Einrichtung selbst, gibt es noch sechs dezentrale Wohnungen, die vom Amalie-Sieveking angemietet werden. Diese dienen einem zentralen Schritt in der Maßnahme, dem Testlauf des eigenständigen Wohnens, was ebenfalls von den Sozialarbeitern des Amalie-Sieveking betreut werde. Probleme gebe es vor allem bei der Kostenübernahme und dem Kontakt mit offiziellen Stellen und Trägern wie dem LWL, so Robert Koston. Sozialarbeiter müssen zugleich auch fit in juristischen Prozessen und Rechtstexten sein, um die Anliegen ihrer Klienten erfolgreich durchsetzen zu können. Ein ehemaliger Bewohner des Hauses, Frank Zecher, erzählte von seiner Zeit im Amalie-Sieveking Haus und lobte dabei vor allem das Team für seine Unterstützung.
Eine Notunterkunft exklusiv für Frauen
Für die letzte Station mussten die Tour-Teilnehmer nochmal eine ordentliche Strecke zurücklegen, bis zur Leifringhauser Straße. Dort befinden sich drei Gebäudekomplexe, die als Notunterkünfte für Wohnungslose zur Verfügung stehen. Eines der Gebäude ist die einzige Notunterkunft exklusiv für Frauen in ganz Lüdenscheid. Bei maximaler Auslastung stehen dort insgesamt 70 Plätze zur Verfügung, wenn vier Leute in einem Zimmer leben. Die Frauen und die älteren Menschen im Nachbargebäude dürfen sich sowohl zum Schlafen als auch tagsüber in den Räumlichkeiten aufhalten.
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Die Männer finden an der Leifringhauser Straße nur eine Notunterkunft für die Nacht und müssen am Morgen wieder gehen. Familien werden nicht aufgenommen, berichtet Kristin Rau, Beraterin bei der Caritas. Da eine fehlende Wohnung eine Kindeswohlgefährdung darstelle, schalte sich das Jugendamt ein und nehme die Kinder in Obhut. Erst dann können die Eltern, ohne ihre Kinder, in einer Notunterkunft Platz finden.
Atilla Gültekin fasste zum Abschluss den typischen Tagesablauf eines Wohnungslosen zusammen, der über den Tag hinweg alle Stationen der Tour besucht. Von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr steht die Caritas Beratungsstelle zur Verfügung, danach geht es weiter zu „Alles Und Suppe“ und ab 19 Uhr legen viele dann die knapp vier Kilometer durch die Stadt zurück, um wieder in der Leifringhauser Straße für die Nacht unterzukommen. Viele legen diesen Weg zu Fuß zurück, bei jedem Wetter und mit all ihrem Hab und Gut im Gepäck.
Zahlreiche Hilfsangebote
Stefan Hesse, Vorstand des Caritas Verbandes, erklärte zum Start im Hinterhof des Hauses die Hilfsangebote der Beratungsstelle: Dazu gehören zum Beispiel der überdachte Hinterhof mit Sitzplätzen, eine Kaffeeausgabe über das Küchenfenster und ein Frischwasserhahn samt Waschbecken an der Außenwand des Hauses. Im Winter stehen dort als letzte Möglichkeit der Notunterkunft für die Nacht zusätzlich die sogenannten Iglus zur Verfügung.
„Wir lassen niemanden hungrig gehen“
Im Gebäude selbst verfügt die Beratungsstelle über mehrere Räume, in denen sich wohnungslose Menschen tagsüber aufhalten können. Dazu gehören ein Speiseraum und ein Wohnzimmer mitsamt Dusche und Waschmaschine. Ebenso stellt die Caritas mit einem Postraum die Möglichkeit für Menschen ohne Meldeadresse eine postalische Anschrift zu haben, was beispielsweise bei der Jobsuche essentiell ist. In der Kleiderkammer, die immer von 8 bis 14 Uhr besetzt ist, können sich Bedürftige mit Kleidung und anderen hilfreichen Gegenständen ausstatten.
Die Beratungsstelle ist von Montag bis Donnerstag immer von 8 bis 16 Uhr geöffnet und bietet, mit morgendlicher Anmeldung und gegen ein kleines Entgeld, mittags eine warme Mahlzeit an. Freitags stehen die Türen von 8 bis 13 Uhr offen und es wird gemeinsam gefrühstückt. „Wir lassen niemanden hungrig gehen“, sagte Atilla Gültekin, Berater in der Unterkunft. Im Durchschnitt suchen rund 25 Leute pro Tag die Beratungsstelle auf, zum Monatsende hin werden es meistens mehr.
Projekt „Endlich ein Zuhause“
Von zwei Mitarbeiterinnen der Caritas Beratungsstelle wurde im Jahr 2022 das Projekt „Endlich ein Zuhause“ ins Leben gerufen. Dabei kümmern sich Daniela Olah und Julia Scheidemann präventiv darum, Menschen vor der Wohnungslosigkeit zu schützen. Wenn eine Räumungsklage im Raum steht, setzen die beiden sich mit den entsprechenden Behörden in Verbindung und versuchen zu vermitteln. Falls die Klage nicht abzuwenden ist, wird frühzeitig nach einer neuen Wohnung oder Unterkunft für die Klienten gesucht. Im gesamten südlichen Märkischen Kreis wurden seit Beginn des Projektes bereits 30 Wohnungen vermittelt. Jedoch werde es immer schwieriger, passenden Wohnraum zu den vom Jocenter festgelegten Preisen zu finden, so Daniela Ohla. Das Projekt läuft noch bis Ende März 2025 und die Mitarbeiterinnen hoffen auf eine Verlängerung der finanziellen Förderung, um weiterhin Menschen in Lüdenscheid helfen zu können. Bisher wird „Endlich ein Zuhause“ vom Europäischen Sozialfond und dem Land NRW finanziert.