Der Wecker klingelt und es ist gerade mal 3.40 Uhr. Schnell springe ich in die Uniform, die ich bereits am Donnerstag bei der Probe bekommen hatte. Vor dem Spiegel stelle ich fest, dass es doch ein recht ungewohnter Anblick ist, aber ich nehme es an.
Beim Bus angekommen, der pünktlich um 4.30 Uhr vom Vereinsheim in der Mühlenstraße aufbricht, stellt sich jedoch heraus, dass die Socken noch nicht richtig sitzen. Doch mit einem Augenzwinkern wird mir schnell erklärt, wie es auszuschauen hat. Später am Tag soll ich noch erfahren, dass die Uniform handgefertigt ist und mittlerweile bis zu 1500 Euro kostet. Die Uniform besteht dabei nur aus der Jacke und der Hose und gehört auch zum Eigentum des Vereins.
In Hagen sammeln wir gegen 5.20 Uhr die weiteren Musiker ein. Der Verein besteht nämlich seit Jahren aus vielen auswärtigen Musikern. Vor allem im Bereich der Fanfarenspieler reichen die Wohnorte von Bergneustadt, Wuppertal, Hattingen bis hin zu Dorsten. Doch man merkt schnell, dass die Mitglieder sich bereits seit Jahren kennen, miteinander musizieren und der Wohnort für den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe keine Rolle spielt. Das Fanfarencorps hat derzeit Mitglieder im Alter zwischen fünf Jahren bis hin zu 65 Jahren und spiegelt damit einen großen Teil der Gesellschaft wider. Gegründet wurde der Verein im Jahr 1958. Geschäftsführer Hans-Peter Moch hält mit über 40 Jahre langer Mitgliedschaft den derzeitigen Rekord – von den Gründungsmitgliedern lebt mittlerweile niemand mehr.
Auf der Reise in den hohen Norden spielt ein Teil der Gruppe in den frühen Morgenstunden bereits gemeinsam Karten, frühstückt und erzählt sich Geschichten von vergangenen Auftritten.
Bei der Abfahrt in Halver regnete es noch kräftig und so hoffen alle, dass es in Bremen – zumindest beim Auftritt – trocken bleibt. Ein kurzer Blick auf die Wetterapp des Vertrauens prognostiziert leider das exakte Gegenteil. Doch die rund 40 Reisenden – davon 15 Fanfarenspieler – scheint das erstmal nicht zu stören.
In Bremen kommen wir pünktlich – ohne Stau – um 8.45 Uhr an. Das Wetter scheint stabil und trocken. Das T-Shirt und der Pulli, die übrigens nächstes Jahr durch neue ersetzt werden sollen, halten unter der Jacke warm.
Angekommen am Startplatz gibt es noch die Gelegenheit sich in einer Kneipe „um die Ecke“ zu stärken und nochmal das stille Örtchen aufzusuchen. Während des Umzugs gibt es hierzu keine Möglichkeit.
Der Auftritt in Bremen gehört mittlerweile zur festen Tradition und schließt das Jahr gebührend ab. Von Karneval bis zum Freimarktsumzug ist der Verein national und auch international unterwegs und erreicht damit in den besten Jahren bis zu 60 Auftritte. In den vergangenen Jahren – vor allem vor Corona – konnten die Landsknechte mit 60 aktiven Mitgliedern auftreten. Die Möglichkeiten sind dabei vielseitig: von Schildträger, Fahnenschwenkern, dem Zugführer, den Trommlern bis hin zu den Fanfaren. Besonders stolz sind einige Mitglieder auf die Auftritte im Vatikan in Rom, zu denen sie höchstpersönlich eingeladen wurden.
Vor dem Auftritt in der Hansestadt geht Katja Schneider, Vorsitzende, nur eines durch den Kopf: „Ich hoffe, dass es nicht regnet und wir im Zelt anschließend viel Spaß haben.“ Doch quasi pünktlich zum Start fängt es an zu tröpfeln. Später erfahre ich von einem Mitglied: „Es war schonmal kälter, aber wir hatten noch nie so einen Regen.“ Doch hochkonzentriert geht es los durch die Bremer Innenstadt. Von einigen Zuschauern werden die Musiker – wenn es zu Pausen innerhalb des Umzugs kommt – angesprochen mit den Worten „Lächeln“. Der teilweise ausdruckslose Gesichtsausdruck spiegelt dabei aber stets die Konzentration und „Anspannung“ wider. Auch ich frage mich, ob sie denn gar keinen Spaß dabei haben. Im Gegenteil: Sie lieben ihr Hobby so sehr, dass sie mit voller Passion einen guten Auftritt präsentieren möchten. Als Deutscher Meister aus dem Jahr 2012 ist das wahrscheinlich auch eigener Anspruch. Etwas störend ist auch der Wagen mit der Nummer 41, der mit lauter Musik die Bedingungen der Landsknechte erschwert.
Das Highlight innerhalb des Umzugs ist zweifelsohne der Livestream des NDR, der von einigen Fans aus der Heimat – wie ich später erfahre – verfolgt wird. Schon einige Stunden nach dem Auftritt schauen wir uns die Videoaufnahmen auf den Smartphones an. Ein einmaliger Moment, den ich so schnell nicht vergessen werde.
Einige Mitglieder sehen für sich Verbesserungspotenzial. Mir wäre das als Außenstehender jedoch nicht aufgefallen. Aber das ist wohl der Anspruch eines amtierenden Deutschen Meisters. Das Fanfarencorps tritt selbst nicht mehr unter diesem Titel auf, weil es aufgrund der Auflösung des Verbandes keine Meisterschaften mehr gibt. De facto sind sie dennoch amtierender Deutscher Meister – und das seit 2012.
Vor dem Einzug in die „Almhütte“ zieht das Fanfarencorps in den Bremer Hauptbahnhof ein. Eine Akustik, die einem Gänsehaut beschert. Für den Auszug findet sich der Verein mit dem befreundeten Fanfarencorps Hervest-Dorsten zusammen. Die Reisenden im Bahnhof bleiben stehen, zücken ihr Smartphone und filmen mit. Ein Ereignis, das wohl fast einmalig sein dürfte.
Über den Tag verteilt spielen die Landsknechte bis zu acht unterschiedliche Märsche, die sie immer dienstags und donnerstags bei ihren Proben übten. Auch das Fanfarencorps Hervest-Dorsten scheint ausgiebig geprobt zu haben, denn man merkt ihnen nicht an, dass ihr gemeinsamer Auftritt mehr oder weniger improvisiert ist.
Aus dem Bahnhof herausgekommen, hängt sich dann auch noch das Fanfaren-Korps Neheim-Hüsten an unsere Gruppe an. Gemeinsam geht es dann mit mehr als 100 aktiven Umzugsteilnehmern gegen 12 Uhr in die „Almhütte“.
Die Uniformen sind beim Marsch durch die Innenstadt nass und schwer geworden. Im Bus wechseln wir unsere Kleidung, um den Nachmittag ohne volle Montur zu verbringen. Für den Weg vom Bus zum Freimarkt können wir den Luxus einer kleinen „Bimmelbahn“ genießen.
Bis 17 Uhr verbringt die Gruppe auf dem Freimarkt und in der Almhütte ihre Zeit, bei der ausgiebig gefeiert wird. Auch auf den Bänken in der Almhütte wird dabei getanzt. Kaltgetränke und Leckereien der Kirmes dürfen dabei natürlich nicht fehlen.
Eindrücke von der Kirmes in einer kleinen Fotogalerie:
Mit dem Bus geht es dann gegen 18.30 Uhr wieder in die Heimat zurück. Auch auf der Rückfahrt verbringen wir eine gute Zeit miteinander. Wir lachen, feiern und schauen uns die ersten Fotos, die ich über den Tag geschossen habe, an.
Aus einer einfachen Idee von Geschäftsführer Moch, der vor einigen Wochen in meinem Büro stand und mich fragte, ob ich nicht Interesse hätte, die Gruppe einen Tag zu begleiten, ist ein erfolgreicher Tag in Bremen geworden. Aus zweierlei Hinsicht: Dem Fanfarencorps wurde eine ausführliche Reportage gewidmet und sie haben ein neues Mitglied gewonnen. Als ehemals aktiver Waldhornspieler habe ich mich sofort mit dem Verein, den Menschen und der Herzlichkeit identifiziert. Auch die Vorsitzende Katja Schneider stellt auf der Rückfahrt fest: „Du bist genauso verrückt wie wir. Du passt super zu uns!“
Alle Fotos in unserer ausführlichen Fotogalerie: