Interview.

Nach Weihnachten gehen sie direkt los - die Haushaltsplanberatungen. Die Aufstellung eines kommunalen Haushalts ist für viele Nachrodt-Wiblingwerder ein Buch mit sieben Siegeln – doch für Bürgermeisterin und Kämmerer ist es tägliches Handwerk. Wie entsteht ein Haushalt, welche Zwänge prägen die Finanzplanung einer kleinen Kommune, und wo liegen trotz aller Vorschriften noch Handlungsspielräume? Im Interview gibt Kämmerer Heiko Tegeler einen detaillierten Einblick in die komplexe Arbeit hinter den Zahlen und erläutert, warum Geduld, Nerven und eine Portion Humor unverzichtbar sind.

Wie entsteht ein Haushalt?

Heiko Tegeler: "Ein Haushalt entsteht aus einer Mischung von Pflichtaufgaben, gesetzlichen Vorgaben und begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten. Zunächst wird geprüft, welche Ausgaben zwingend erforderlich sind (Personal, Umlagen, Pflichtaufgaben), danach wird geschaut, was darüber hinaus überhaupt noch leistbar ist. Demgegenüber stehen nämlich die Einnahmen aus Steuern, Gebühren, Beiträge usw. Der Haushalt ist weniger ein Wunschkonzert als vielmehr das Ergebnis der Rahmenbedingungen vor Ort. Erst wenn die Zahlen in den Systemen eingegeben sind, werden die ersten Andrucke gefertigt, über die man dann intern spricht. Erst wenn die endgültig  Zahlen feststehen, können wir mit dem Vorbericht und den Anlagen beginnen."

Wie beginnt eigentlich die Haushaltsaufstellung? Was sind Ihre allerersten Schritte, bevor Zahlen überhaupt sichtbar werden?

"Dies geschieht bereits im Sommer, wenn die Kämmerei die Mittelanmeldungen an die Fachbereiche übersendet. Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme: Wie war die finanzielle Lage im Vorjahr? Welche Verpflichtungen laufen weiter? Welche neuen gesetzlichen Vorgaben kommen auf uns zu? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, beginnen wir überhaupt mit konkreten Zahlen."

Welche Daten und Prognosen spielen dabei die wichtigste Rolle?

"Ganz entscheidend sind die Steuerschätzungen und die Entwicklung der Einkommensteuerumlage, Schlüsselzuweisungen. Bei den Ausgaben sind es die Kreisumlagen sowie die Personalkosten und die Bewirtschaftungskosten beziehungsweise Unterhaltungskosten der gemeindlichen Liegenschaften, Gebäude und Infrastruktur. Diese Faktoren bestimmen den Handlungsspielraum fast vollständig."

Wie viel Einfluss hat eine kleine Gemeinde überhaupt auf ihren eigenen Haushalt?

"Der Einfluss ist begrenzt. Ein Großteil der Ausgaben ist nicht freiwillig, sondern gesetzlich vorgegeben. Wirklich steuerbar sind nur wenige Prozent des Haushalts."

Wie sieht der typische Zeitplan aus – von der ersten Planung bis zur Verabschiedung?

"Die Planung beginnt meist viele Monate vor der Einbringung in den Rat. Erste Vorarbeiten starten oft im Sommer, konkrete Entwürfe im Herbst, Beratungen in den Ausschüssen folgen im Winter und die Verabschiedung erfolgt häufig erst zu Beginn des Haushaltsjahres."

Diskussionen um den Haushalt werden in Nachrodt-Wiblingwerde intensiv geführt.
Foto: Steve Buissinne / Pixabay

Wer arbeitet intern mit? Wie läuft die Abstimmung mit Verwaltung, Politik und anderen Fachbereichen?

"Die Mittelanmeldungen sind nach Fachbereichen gegliedert. Hier melden die Sachbearbeiter zu aller erst die erforderlichen Mittel an, die dann mit der jeweiligen Leistung im Fachbereich abgestimmt wird. Danach folgen die erste Analyse und Eingabe durch die Kämmerei. Hier werden viele Bereiche thematisiert. Eng eingebunden sind die Kämmerei, die Leitung der Fachbereiche sowie die Bürgermeisterin. Die Abstimmungen sind intensiv, da jede Entscheidung direkte Auswirkungen hat, vor allem bei der Planung von Investitionen. Teilweise werden bereits in interfraktionellen Sitzungen  Bereiche abgesteckt. Sobald der Plan im Rat eingebracht wird, erfolgen die Beratungen in den Fraktionen und Fachausschüssen."

Herausforderungen einer extrem kleinen Kommune

Wo stoßen Sie als kleine Kommune an Grenzen, die größere Städte kaum spüren?

"Ein einzelnes Projekt oder eine unerwartete Ausgabe kann den gesamten Haushalt kippen. Wir haben kaum Reserven. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert – sei es eine größere Reparatur oder ein Schadensereignis, eine Umlagesteigerung oder ein personeller Ausfall. In größeren Kommunen ist ein Fachamt so groß wie unser gesamte Personalkörper in der Verwaltung."

Sie sagen, es gibt praktisch keine Einsparpotenziale mehr – wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

"Das führt zu einer permanenten Abwägung zwischen Pflicht und Vernunft. Sparen bedeutet oft nur noch Verschieben – nicht echtes Einsparen. So kann oft die Wirtschaftlichkeit bei einer Entscheidung kaum noch berücksichtigt werden."

Wie sehr belastet die steigende Kreisumlage den aktuellen Haushalt?

"Sie steigt oft unabhängig von der eigenen Finanzlage und frisst jeden kleinen Einnahmezuwachs sofort auf. Wie bereits in meiner Haushaltsrede verdeutlicht, die beiden Hebesätze lagen 2022 aufsummiert noch bei circa 60 Prozent und im Jahr 2026 liegen sie bereits bei über 73 Prozent. Dies ist bezeichnend dafür, dass immer weniger Mittel unserer Steuerkraft für die Deckung der Selbstverwaltung vorhanden sind."

Ein großes Problem seien die schlecht zu kalkulierenden Einnahmen.
Foto: moerschy / Pixabay

Welche finanziellen Zwänge sind für Außenstehende schwer nachvollziehbar, beeinflussen Ihre Arbeit aber massiv?

"Dass viele Ausgaben nicht freiwillig sind. Wir können Leistungen nicht einfach streichen, selbst wenn das Geld fehlt, da wir gesetzlich dazu verpflichtet sind. Beispielhaft auch die Straßenunterhaltung oder der Winterdienst.

Ein Großteil der Investitionen musste aufgrund fehlender Liquidität durch Kredite finanziert werden, sodass der Haushalt nicht nur durch die Abschreibungen sondern auch durch die Finanzierungskosten zusätzlich belastet wird."

Wo liegt für Sie die größte Unsicherheit bei der Haushaltsplanung?

"Bei den Einnahmen ist es die Planung der Gewerbesteuer und bei den Aufwendungen ist es der Bereich, der mit den Investitionen im Zusammenhang steht insbesondere die Abschreibungen und die Finanzierungskosten. Da haben kleine Abweichungen oft große Auswirkungen. Aber auch die Kostensteigerungen in sämtlichen Bereichen."

Strategien, um die Haushaltssicherung zu vermeiden

Wie kann man trotz steigender Verpflichtungen vermeiden, in die Haushaltssicherung zu rutschen?

"Auf Grund der aktuellen finanziellen Lage, wird es nur eine Frage der Zeit sein, wann ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) aufgestellt werden muss. Wenn nicht dieses Jahr, dann mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr. Ich gehe aber davon aus, dass wir bei der Höhe an negativen Planergebnissen ein HSK aufstellen müssen. Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen ist eine konsequente und nachhaltige Haushaltskonsolidierung unerlässlich. Diese umfasst meiner Meinung die strenge Priorisierung investiver Maßnahmen und einhergehend die Umsetzung von zwingend notwendigen Projekten. Wenn wir alle Politik, Verwaltung und Bürger bereit sind, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und Prioritäten nachhaltig umsetzen."

Gibt es Stellschrauben, die oft unterschätzt werden, aber langfristig helfen können?

"Auf der Ertragsseite beziehungsweise Einnahmenseite muss die Inanspruchnahme der Fördermöglichkeiten weiter priorisiert werden. Allerdings auch nur für Maßnahmen, die in der Gemeinde erforderlich sind. Ein Eigenanteil ist trotzdem und oftmals notwendig. Gleichzeitig muss eine Erhöhung der Einnahmekraft, allen voran eine mögliche Anpassung im Gebühren- und Entgeltbereich, aber auch im Steuerbereich geprüft werden. Beispielhaft hier die enorme Reduzierung der Messbeträge im Bereich der Grundsteuer B. Hier wurden bei der Umstellung der Grundsteuer im Nachgang viele Grundstücke zeitverzögert und geringer bewertet."

Wie wichtig sind Förderprogramme, interkommunale Kooperationen und kreative Finanzierungswege für eine kleine Kommune?

"Sie sind für uns von zentraler Bedeutung. Ohne Fördermittel könnten zahlreiche Projekte nicht realisiert werden. Bei den Kooperationen sind der Wissenstransfer, die Bindung des Fachpersonals sowie die Einsparpotenziale ausschlaggebend."

Wo liegen – trotz aller Zwänge – noch Handlungsspielräume?

"Durch die Nutzung von Fördermitteln sowie in der interkommunalen Zusammenarbeit."

Der Blick ins Detail

Welche Positionen im Haushalt sind besonders schwer planbar?

"Die größten Unwägbarkeiten liegen bei der Planung der Gewerbesteuererträge. Die Planung der Finanzierungskosten und die Abschreibungen. Hier hat eine frühzeitige Fertigstellung oder eine geplante Fertigstellung in der Zukunft direkten Einfluss auf die kalkulierten Zahlen. Aber auch witterungsbedingte Aufwendungen wie zum Beispiel der Winterdienst."

Wie kalkulieren Sie Energie-, Personal- oder Sozialkosten, die stark schwanken können?

"Bis zu den letzten beiden zurückliegen Krisen war der Kostenverlauf eigentlich recht stabil und gleichbleibend. Die Personalkosten werden über eine Personalkostenkalkulation im Abrechnungssystem geplant. Hier sind alle Mitarbeiter systemseitig erfasst. Dazu kommt eine tarifliche Steigerung. Gleichzeitig werden für die Kommunen sogenannte Orientierungsdaten des Landes vorgegeben, wie sich zum Beispiel Umlagen und Aufwendungen, aber auch die Pauschalen entwickeln.

Bei den Energiekosten werden die Verbräuche des Vorjahren sowie die aktuellen Zählerstände in Verbindung mit den neuen Energiepreisen berücksichtig.

Bei allen Kalkulationen spielt die Erfahrung aus den Vorjahren eine große Rolle."

Gibt es Bereiche, in die Sie trotz enger Kasse bewusst investieren müssen?

"In die Infrastruktur und die Pflichtaufgaben wie zum Beispiel die Schulen, die Feuerwehr oder Abwasserbeseitigung. Nichtstun wäre langfristig teurer."

Investitionen in Infrastruktur - wie hier an der Nachrodter Straße - müssen nach Meinung des Kämmerers sein.
Foto: Marvin Schmidt / LokalDirekt

Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger

Was sollten Bürger unbedingt über den kommunalen Haushalt wissen, was oft falsch verstanden wird?

"Dass der größte Teil des Haushalts nicht frei verfügbar ist, sondern an feste Rahmenbedingungen geknüpft ist. Wir haben zum Beispiel die Einnahmen aus den Steuern nicht zur freien Verfügung."

Wie erklären Sie einem Laien, warum eine Kommune mit wenig Geld nicht einfach „sparen“ kann?

"Weil Sparen oft bedeutet, gesetzliche Aufgaben zu vernachlässigen oder Kosten nur in die Zukunft zu verschieben."

Wenn der Haushalt ein Puzzle wäre – welches Teil suchen Sie jedes Jahr am längsten?

"Die verlässliche Einnahmenseite."

Was ist für Sie die „schönste Zahl“ im Haushalt – und welche bereitet Ihnen regelmäßig Kopfschmerzen?

"Die schönste im Ergebnis ein ausgeglichener Haushalt also mindestens die Null - Die schlimmste ein steigender Umlagebedarf (Kreisumlagen)."

Welche Fähigkeit braucht ein Kämmerer in einer Minikommune am dringendsten: Geduld, Nerven oder Humor?

"Aus meiner Sicht eine gesunde Mischung aus Geduld, starken Nerven und Humor. Geduld für langwierige Prozesse, starke Nerven für finanzielle Zwänge – und Humor, um trotz allem handlungsfähig zu bleiben."

Was wäre die eine Änderung im Kommunalrecht, die Ihnen die Arbeit erheblich erleichtern würde?

"Mehr finanzielle Eigenständigkeit und weniger Pflichtaufgaben ohne ausreichende Gegenfinanzierung."

Und zum Abschluss: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – welche Position würden Sie im nächsten Haushalt gern einmal ohne Rechenstift planen dürfen?

 "Freiwillige Leistungen für Gemeinschaft und Ehrenamt – einfach danach, was der Gemeinde guttut, nicht danach, was gerade noch finanzierbar ist."